Drogenmythen

Von Markus Berger

Drogenmythen gibt es viele. Wir kennen sie alle. Es gibt aber diese Evergreens, die Klassiker, die ultimativen Tiefschläger, die sich einfach nicht ausräumen lassen, und von denen manche selbst in der Hanfszene und auch in der Welt der Psychonauten noch immer kursieren. Hier die 10 Skurrilsten.

Mythos 1: Drogen sind gefährlich

Wer behauptet, Drogen seien gefährlich, der weiss nicht, was er redet. Dieses Pferd kann man nun wirklich von allen möglichen Seiten aufzäumen – es wird und wird kein Sinn dabei herauskommen. Erörtern wir zunächst die Frage: Was sind eigentlich Drogen? Im Ursprung leitet sich der Begriff Droge vom holländischen Terminus droog ab, was trocken bedeutet. Im eigentlichen Sinne werden damit die getrockneten Pflanzenteile pharmakologisch aktiver Pflanzen, deren Produkte und Zubereitungen bezeichnet – meist Blätter, Blüten, Früchte, Wurzeln und/oder Harze –, die zur Zubereitung von Arzneien dienen. Bis vor wenigen Jahren wurden in der Tat sämtliche Arzneistoffe als Drogen bezeichnet. Heutzutage und durch die gnadenlose Getriebenheit der Prohibition bedingt, sind mit der Sammelbezeichnung Drogen ausschliesslich illegalisierte Rauschmittel gemeint. So werden in den meisten Kulturkreisen der westlichen, sogenannten zivilisierten Welt z. B. Alkohol und Tabak/Nikotin nicht als Drogen bezeichnet, Cannabis und LSD hingegen sehr wohl. Schon hier zeigt sich also die Unsinnigkeit des Diktums «Drogen sind gefährlich». Weiter: Nehmen wir einige der giftigsten Stoffe, die wir überhaupt kennen, beispielsweise das Aconitin des Eisenhuts, das Tetrodotoxin des Fugu-Kugelfischs und das chemische Element Arsen. Selbst die Einnahme dieser extrem potenten Giftstoffe verläuft nicht in jedem Falle tödlich. Im Gegenteil: In der Hand des Pharmakologen werden diese Stoffe zu wertvollen Heilmitteln. Denn allein die Dosis macht einen Stoff zum Gift. Wenn die Gesetzgebung also behauptet, sie verbiete zum Beispiel den Hanf, das LSD, das Meskalin, das Kokain usw., um uns vor den Auswirkungen derer Gefahren zu schützen, dann wäre die logische Konsequenz, dass er auch das Wasser illegalisiert. Immerhin sind in Wasser schon Millionen Menschen ertrunken oder gar an der Nichtverfügbarkeit desselben gestorben. Eine teuflische Substanz? So gefährlich es sein kann, mit dem herzwirksamen Fingerhut, der Digitalispflanze, zu hantieren, so überlebenswichtig ist der enthaltene Giftstoff, das Digitoxin, für akut Herzerkrankte. Vergessen wir also diesen ersten Mythos.

Mythos 2: Cannabis ist eine Einstiegsdroge

Wenn überhaupt etwas in dieser unserer Gesellschaft als Einstiegsdroge bezeichnet werden kann, dann eine der beiden Drogen, die unsere Kinder von morgens bis abends vorkonsumiert bekommen: Alkohol oder der Tabak. Vermutlich sind es beide, die unserer Jugend als Einstiegsdrogen gelten müssen. Das sind immerhin die Substanzen bzw. Produkte, die Tag und Nacht verfügbar sind, deren Konsum als schick gilt (im Falle der Zigaretten mittlerweile nicht mehr so ganz) und die zum guten Ton gehören. Einzig und allein die Tatsache, dass Alkohol und Tabak nicht als Drogen bezeichnet werden (siehe Mythos 1), trägt dafür Sorge, dass immer wieder Cannabis eine Einstiegs-«Droge» genannt wird. Stellt euch folgendes Szenario vor: Ein Opiatabhängiger sitzt beim Arzt. Der fragt für seine Erhebung: «Welche Droge haben Sie denn als erstes im Leben konsumiert?» Der Opiatabhängige antwortet: «Zigaretten.» «Nein, nein, welche DROGEN sie genommen haben, will ich wissen», sagt der Arzt und meint lediglich die illegalisierten Substanzen. Ein reines Problem der Begrifflichkeiten, wie wir sehen. Und da nun mal häufig Cannabis die erste illegalisierte Substanz ist, die Jugendliche probieren, tritt damit die vermeintliche Erkenntnis zu Tage: Cannabis ist eine Einstiegsdroge. Der Mythos ist entlarvt.

Mythos 3: Bier auf Wein, dass lass sein – Wein auf Bier, das lob ich mir

Eine Weisheit, die unter Freunden des gepflegten Alkoholgenusses weit verbreitet ist. In Wahrheit hat dieser Spruch weder Gültigkeit noch ist er pharmakologisch nachvollziehbar. Die Reihenfolge, in der wir alkoholische Getränke zu uns nehmen, ist grundsätzlich zunächst egal. Selbstverständlich gilt für jede Regel auch immer mindestens eine Ausnahme. Denn was zu berechnen ist, ist der Faktor Mensch. Natürlich wird es Menschen geben, die dem Spruch, unserem Mythos 3, voll und ganz zustimmen. Sie haben es selbst schon probiert – umgekehrt geht gar nicht. Aber stimmt das auch, oder ist das eine rein subjektive Empfindung? Beeinflussung? Wahnidee? Nicht ganz. Denn natürlich reagieren Menschen auf verschiedene Darreichungsformen psychoaktiver Substanzen unterschiedlich. Es gibt ja sogar Leute, die vertragen keinen Schnaps. Oder keinen Wein. Oder was auch immer. Es ist nicht anders als beim Cannabis. Raucht man zuerst einen Joint oder gleich die Bong? Variiert man und raucht beides? Wie ist die Kombination Pfeife – Vaporizer? Und in welcher Reihenfolge? Fragen, die allgemeingültig nicht beantwortet werden können. Grundsätzlich ist es den Rezeptoren völlig einerlei, ob die psychoaktiven Moleküle aus einer Pfeife kommen oder aus dem Verdampfer. Ob sie aus einem Bierglas kommen oder aus dem Römer. Absolut egal.

Mythos 4: Schokoloade macht glücklich, weil sie Serotonin enthält

Eins vorweg: Schokolade macht tatsächlich glücklich. Und sie enthält tatsächlich das Glückshormon Serotonin. Dennoch ist der Mythos falsch, dass Schokolade glücklich macht, weil Serotonin darin enthalten ist. Zwar ist Serotonin tatsächlich in der Kakaobohne enthalten, genauso wie das körpereigene Kreativitätshormon Dopamin. Beide Substanzen haben jedoch bei oraler Einnahme keinerlei Wirkung zufolge. Denn sie passieren die Blut-Hirn-Schranke nicht und können damit das Gehirn nicht erreichen. Zudem sind die beiden Transmitter nur in sehr geringer Konzentration im Kakao enthalten. Kakao enthält aber so manche andere psychoaktive Substanz, die durchaus in der Lage ist, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren: zum Beispiel Koffein, Theobromin und das Cannabinoid-Analog Anandamid (das der Mensch in seinem Körper bildet, das körpereigene Cannabinoid). Das Koffein ist für die stimulierende Wirkung des Kakaos verantwortlich, dem Theobromin und Anandamid schreibt man hingegen die Glück und Wohlbefinden erzeugende Komponente des Kakaos zu.

Mythos 5: Bananenschalen sind psychoaktiv

Die Legende, gerauchte Bananenschale wirke psychotrop, hält sich hartnäckig und wird auch in diversen Publikationen immer wieder zum besten gegeben. In Wahrheit ist dieser Mythos die 1967 entstandene scherzhafte Antwort einiger US-amerikanischer Psychonauten aus San Francisco auf die Drogenprohibition. Zwar kommen in der Banane eine grosse Zahl psychoaktiver Verbindungen vor. Jedoch stets nur in Spuren oder nicht nennenswerten Konzentrationen. Bananen enthalten sogar körpereigene Transmitter des Menschen, zum Beispiel Dopamin, Noradrenalin, Serotonin und viele mehr. Diese Substanzen passieren die Blut-Hirn-Schranke jedoch nicht (siehe Mythos 4) und können auch nicht geraucht werden. Die Banane macht definitiv nicht high – sie kann nicht als Psychoaktivum verwendet werden.

Mythos 6: Mohnbrötchen machen high

Stimmt genau so wenig, wie die Geschichte mit den Bananen. Mohnbrötchen und Mohnkuchen und dergleichen enthalten Mohnsamen, das ist in der Tat die originäre Opiumpflanze Papaver somniferum, der Schlafmohn. Allerdings werden erstens heutzutage kastrierte Zuchtformen verwendet, die psychoaktive Alkaloide lediglich unterhalb der Nachweisgrenze enthalten. Zweitens enthalten die Samen des originären, unkastrierten Schlafmohns auch nicht mehr als etwa 0,005 Prozent Morphin, sodass eine psychoaktive Wirkung auch nach dem Genuss von 30 Mohnbrötchen oder eines ganzen Mohnkuchens nicht zu erwarten ist. Aber Vorsicht! Etwas tricky ist die Sache: Denn obwohl Mohnsamen nur so wenig Morphin enthalten, werden sie im Drogenscreening auf Opiate ein positives Ergebnis zur Folge haben, sprich: Im Drogentest ist jemand, der kurz zuvor Speisemohn ass, aller Wahrscheinlichkeit nach opiatpositiv!

Mythos 7: Heroin und Crack machen ab dem ersten Konsum abhängig

Ein Mythos, der zu meiner Schulzeit noch von den Lehrern erzählt wurde. Das ist heutzutage hoffentlich anders. Auch wenn ein Heroinkick möglicherweise solch glückselige Momente beschert, dass der Konsument danach dürstet, sofort den nächsten Hit zu haben: Fakt ist, es gibt keine psychoaktive Droge, die nach dem ersten Konsum sofort eine körperliche Abhängigkeit zurfolge hat.

Mythos 8: Man kann für immer auf einem Trip hängen bleiben

Der ewige Bad Trip – davor haben viele grosse Angst. Aber es gibt ihn nicht. Natürlich bergen psychedelische, entheogene, halluzinogene Substanzen stets die Gefahr, eine latent, also versteckt vorhandene und nicht ausgebrochene Psychose zu aktivieren. Es gibt Menschen, die tragen eine Psychose mit sich rum und wissen gar nichts davon. Das ist auch nicht zuletzt deshalb schwierig zu bemerken, weil es keine grundsätzliche Definition der Psychose gibt. Sicherlich existiert eine klinische Diagnostik. Die kann sich aber immer nur an den Symptomen und inneren Vorgängen des einzelnen Patienten orientieren. Kurz gesagt: Eine Psychose kann sich bei jeder und jedem auf andere Weise bemerkbar machen. Und wenn ein solcher Mensch, der eine latente Psychose mit sich herumträgt, an Psychedelika gelangt und tief in sein Bewusstsein und damit in sein Unterbewusstsein eintaucht, dann kann das eine spontane Heilung genauso zufolge haben, wie die Aktivierung einer latent vorhandenen Psychose. Nämlich vornehmlich dann, wenn die Konsumentin oder der Konsument mit Angst vor Kontrollverlust und mangelnder Fähigkeit zum Loslassen ausgestattet ist. Eine solche Psychose kann dann rasch der klinischen Behandlung bedürfen. Andere erleben ganz ohne psychotische Symptomatik einfach einen Bad Trip, der möglicherweise schlimm ist, aber von vorübergehender Natur. Dass jemand «auf dem Trip hängen bleibt», also nie wieder im Leben vom Trip runterkommt, ist unmöglich. Ich kenne Leute, die würden so einen Trip sicher kaufen.

Mythos 9: Natur ist immer gesünder als Chemie

Das ist so ziemlich der dümmste Mythos von allen, denn er hält sich auch in der Psychonautenszene bedenklich hartnäckig. Selbst jene, die den synthetischen Substanzen in keiner Weise abgeneigt sind, verfallen in die Sitte zu behaupten: pflanzlich ist gesünder. Zunächst mal gibt es in der Pharmakologie weder ein pflanzlich noch ein synthetisch. Auch in Pflanzen und Pilzen kommen chemische Verbindungen vor, die pharmakologische Wirkung aufweisen. Unserem Körper ist es nun reichlich egal, ob die Substanz aus einem Organismus stammt oder aus dem Reagenzglas. Dabei beinhaltet dieses Statement nicht die Diskussion um pflanzliche Wirkstoffmixe versus einzelne Synthetika. Wer jemals Dronabinol, also reines, halbsynthetisch hergestelltes THC, mit dem Cannabinoidmix in der Hanfpflanze verglichen hat, der versteht, was ich meine. Trotzdem: Es gibt nicht die böse Chemie und die gute Pflanzenarznei. Letztlich handelt es sich beim einen wie beim anderen um Bausätze aus Molekülen, die in unserem Zentralnervensystem etwas bewirken. Ob das DMT nun aus dem Rohrglanzgras Phalaris ins Hirn gelangt oder aus dem gerauchten Kristall: Spielt das eine Rolle? Antworten nehme ich über die Redaktion gern entgegen. Ansonsten siehe Mythos 3.

Apropos DMT: Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass es zwei Substanzen gibt, die einst als Synthesepharmaka par excellence galten: nämlich eben DMT und das Benzodiazepin Diazepam, besser bekannt unter seinem berühmten Markennamen Valium. Beide Stoffe wurden im Labor designt – und später als Naturstoffe entdeckt! Welch Sensation! DMT kommt nicht nur in unzähligen Pflanzen und Pilzen vor, sondern gar in Tier und Mensch selbst! Und Valium ist ein Naturstoff, der zum Beispiel im Reis, im Mais und in der Kartoffel nachweisbar ist! Interessant auch, dass erst kürzlich das ebenfalls bisher nur als synthetisch bekannte Opioid Tramadol in einer afrikanischen Baumart (Nauclea latifolia) nachgewiesen wurde. Und noch eine Anekdote: Es gibt ja Menschen, die lehnen die Behandlung mit Antibiotika ab. Die Medien haben die Antibiotika nämlich in den vergangenen Jahren zum Pharmateufel erklärt – mit Erfolg, die Leute glauben alles. Ich kenne solche Menschen, und einmal sagte jemand zu mir: «Ich nehme keine Antibiotika. Das ist nur Scheisse aus der Schulmedizin und deshalb gefährlich. Ich nehme nur Naturstoffe.» Ich musste lachen. Und erklärte dem Freund, dass Antibiotika Naturstoffe sind. Nehmen wir das Penicillin. Das ist der antibiotisch wirksame Inhaltsstoff eines Penicillium-Schimmelpilzes. Nichts weiter. Ich erklärte weiter, dass es keine bösen Substanzen gibt, dass es immer und ausschliesslich auf den richtigen Gebrauch ankommt. Und dass es Naturstoffe gibt, Pflanzengifte zum Beispiel, die extrem giftig und gefährlich sind und dagegen synthetische Pharmaka, die nur sehr geringe Risiken bergen. Also auch Mythos 9: vergessen!

Mythos 10: Drogenverbote schützen die Menschen

Oh ja, das wird uns immer gesagt. Und es ist gelogen. In Wahrheit schaffen die Drogenverbote deutlich mehr Unheil und Leid, als jede Droge dieser Welt es vermochte. Die verquere Drogenpolitik zerstört mit ihren menschenverachtenden Gesetzen massenhaft Existenzen, weil Menschen sich möglicherweise entschieden haben, ein willkürlich illegalisiertes Genussmittel oder Medikament zu gebrauchen. Menschen, die niemandem schaden, die keinem etwas antun, werden eingesperrt und/oder ausgegrenzt, nur weil sie sich mit illegalisierten psychoaktiven Substanzen beschäftigen und diese konsumieren. Auch ist inzwischen hinlänglich bewiesen, dass die repressive Drogenpolitik, die Drogenprohibition, keinerlei Erfolge verbuchen kann. Der weltweite Drogenhandel, -besitz und -konsum ist nicht weniger geworden, das genaue Gegenteil ist der Fall. Dabei sind Verordnungen wie das Betäubungsmittelgesetz verfassungswidrig. Denn nach unserer Verfassung haben wir das sogenannte «Recht auf Selbstbeschädigung», auch wenn wir uns mit einer Feierabendtüte wohl nicht wirklich beschädigen, da sind wir uns einig. So dürfen wir uns zwar gesetzlich abgesichert das Leben nehmen. Uns mit psychoaktiven Drogen selber «schädigen» dürfen wir aber nicht. Das entbehrt jeder Logik. Das Drogenverbot schädigt die Menschen und letztlich die gesamte Gesellschaft. Es kostet nur Geld, verschlingt Ressourcen, vernichtet Existenzen und bringt am Ende doch einfach nur überhaupt gar nichts. Entlassen wir also diesen zehnten Mythos in das Reich der skurrilen Drogenlegenden.

© 2014 Markus Berger

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