Von Markus Berger
… gibt es manches zu entdecken. Vieles blieb bislang im Verborgenen, weniges an Wissen zu den psychoaktiven Kakteengewächsen wurde wirklich eruiert. So sind beispielsweise viele der geistbewegenden Inhaltsstoffe der meisten Kakteen nicht identifiziert. Ausser den relativ bekannten Peyote (Lophophora williamsii) und San Pedro (Trichocereus pachanoi), und allenfalls Donana (Coryphantha macromeris) sind der grösste Teil der psychotropen Kakteen-Arten dem psychonautischen Volk unbekannt. Dabei gibt es so viele! Es existieren mindestens 70 Gattungen (die zwar oft nicht eindeutig voneinander abgrenzbar, trotzdem von der Wissenschaft unterteilt sind), welche psychotogene Verbindungen beherbergen. Manchmal hochaktive halluzinogene Phenethylamine, wie Meskalin, manchmal aber auch z.B. Koffein (!).
Die entheogenen Kakteen haben, abgesehen von den oben genannten, keine Popularität ausserhalb der rituellen Anwendung indianischer Stämme erlangt.
«Dass Peyotl ritualisiert angewendet wird, ist ganz wichtig. Jene, die es anwenden, sind durch einen Ritus betreut und geschützt, und darum gibt es auch keinen Missbrauch. Wir haben in unserer Gesellschaft keine solchen kulturellen Riten mehr, deshalb sind wir auch viel gefährdeter.» (VANNINI et VENTURINI 1999: 16)
Allein dreizehn verschiedene Gattungen enthalten Arten, in denen das 2-Phenethylamin Meskalin nachgewiesen wurde:
1. Gymnocalycium spp.
2. Islaya spp.
3. Lophophora spp.
4. Myrtillocactus spp.
5. Opuntia spp.
6. Pelecyphora spp.
7. Pereskia spp.
8. Pereskiopsis spp.
9. Polaskia spp.
10. Pterocereus spp.
11. Stenocereus spp.
12. Stetsonia spp.
13. Trichocereus spp.
Allerdings wurden, und hier beginnt die Schwierigkeit für den Forschenden, einige dieser Gattungen inzwischen nomenklatorisch aufgelöst und anderen beigeordnet. So gibt es die Gattung Islaya heute nicht mehr, die Arten wurden mittlerweile den Eriosyce spp. zugeteilt. Pterocereus gehört heute zu Pachycereus (auch eine Art, die psychoaktive Inhaltsstoffe aufweist), Trichocereus zu Echinopsis spp.
Glücklicherweise muss uns die wissenschaftliche Benennung als Anwender nicht sonderlich interessieren. Die meistenArten werden sowieso noch unter ihrem alten Namen verkauft, so wie z.B. auch die Engelstrompete (Brugmansia spp.) bis heute als Datura (also Stechapfel) im Gartenfachhandel angeboten wird. Doch dies nur zur Erläuterung, ohne zu weit von den Kakteen abschweifen zu wollen …
Im aktuellen Katalog der deutschen Kaktus-Fachgärtnerei HAAGE (Erfurt) bekommt man Trichocereus pachanoi sogar mit Angabe des Trivialnamens ‘San Pedro’ (Lophophora williamsii übrigens auch als ‘Peyotl’), die Anschaffung gewünschter Exemplare ist also nach wie vor kein Problem.
Ein echtes Problem allerdings, stellt der Konsum mancher psychotroper Kakteenpflanzen unter nicht-rituellen, uneingeweihten Bedingungen dar. Einige Kakteen, z.B. Ariocarpus, enthalten chemische Zusammensetzungen, die bei unsachgemässer Einnahme zu grossen Schwierigkeiten führen können. Ein Huichol-Schamane beschreibt die Gefahr der Tsuwiri (‘gefährlicher Peyote’) genannten Kakteen-Gattung auf geistiger Ebene, also nicht medizinisch-chemisch, sondern rein verstandesgemäss:
«Wenn man davon isst, wird man verrückt; man stürzt in die Schluchten, man sieht Skorpione, Schlangen, gefährliche Tiere, man ist unfähig zu gehen, man fällt, man stürzt sich oft zu Tode, indem man von den Felsen fällt.» (RÄTSCH 1998: 68)
Da, wie oben erwähnt, die wenigsten entheogenen Kakteen ausreichend erforscht sind, ergeben sich für die Praxis weitere Risikoquellen:
1. Unerfahrene experimentierfreudige Psychonauten (oder auch dumme Kiddies) verwechseln vermeintliche Kakteen mit Arten der sukkulenten Gattung Euphorbia. Euphorbien sind die giftigen Wolfsmilchgewächse, deren Milchsaft bei Berührung im Extremfall das Augenlicht kosten kann, und treten in den unterschiedlichsten Formen und Gestalten auf. Verwechslungen sind z.B. leicht zwischen Euphorbia und Astrophytum (Bischofsmütze) oder auch Trichocereus möglich. Obwohl die Gattung Euphorbia nicht zu den Cactaceae (Kakteengewächsen) gehört, tragen manche Arten Dornen, die denen vieler Kaktuspflanzen sehr ähnlich sind. Übrigens existieren auch psychoaktive Euphorbien, deren wissenschaftliche Analyse und Erforschung allerdings noch weniger weit vorangeschritten ist, als dies schon bei den Kakteen der Fall ist.
2. Meskalin- oder andere Phenethylamin-Kakteen werden überdosiert. Im Falle einer Overdose, die beim Meskalin ab einer Menge von 100 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht erwartet werden darf, können schwere Leberschäden, schlimmstenfalls sogar der Tod durch Atemlähmung die Folge sein.
3. Wie bei allen psychedelischen Substanzen kann eine latent vorhandene Psychose aktiviert werden. Das beste Mittel, um einen Meskalin- (und auch Psilocybin- oder LSD-) Trip abzubrechen, ist das Benzodiazepin Diazepam (z.B. Valium®). Eine Dosis von 10 bis 30 Milligramm hebt die psychedelischen Wirkungen in der Regel rasch auf. Diazepam (und auch seine verwandten Benzodiazepin-Derivate) ist allerdings verschreibungspflichtig und nicht ohne Rezept erhältlich.
Nun soll es aber nicht den Anschein erwecken, der Gebrauch entheogener Kakteen sei ausschliesslich gefährlich. Auf Risiken muss aber unbedingt immer eingegangen werden. Denn nur die Unwissenheit ist eine wirkliche Gefahr.
Literatur
Berger, Markus, Die Gattung Ariocarpus, Entheogene Blätter 6/2002, Berlin
Berger, Markus, Psychoaktive Kakteen – Mehr über 293 Kakteen-Arten aus 72 Gattungen, Löhrbach 2003
Rätsch, Christian, Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau 1998
Vannini, Claudio; Venturini, Maurizio, Halluzinogene – Entwicklung der Forschung, 1938 bis in die Gegenwart Schwerpunkt Schweiz, Herausgegeben von Christian Rätsch, Berlin 1999