Von Lucius Werthmüller
Durch Ihre Entdeckungen sind Sie in Kontakt mit veränderten Bewusstseinszuständen gekommen. Welche Bedeutung messen sie diesen Zuständen für unsere weitere Entwicklung zu?
Albert Hofmann: Ich messe der Veränderung des Bewusstseins die allerhöchste Bedeutung zu. Denn die ganze Evolution der Menschheit besteht in einer Veränderung und Erweiterung des Bewusstseins. Die ganze kulturelle und sonstige Entwicklung hängt davon ab. Man muss natürlich klären, was man unter Bewusstsein versteht. Das Bewusstsein an und für sich kann man ja nicht definieren, denn ich brauche es ja um darüber nachzudenken, was Bewusstsein ist. Ich würde es folgendermassen umschreiben: Das Bewusstsein ist das rezeptive und kreative Zentrum des Individuums. Das heisst dann eben, dass ein Ich ohne Bewusstsein nicht denkbar ist. Da man Bewusstsein nur umschreiben kann, spreche ich lieber von veränderten Bewusstseinsinhalten. Ob ich mich nur mit der materiellen Seite des Lebens befasse, oder ob ich mich auch mit dem Transzendenten, der Geistigen Welt befasse, das ist das Entscheidende. Das heisst, dass die Veränderung sich auf die Inhalte des Bewusstseins bezieht.
Welche Bedeutung kann LSD in Zukunft haben zur Veränderung dieser Bewusstseinsinhalte?
Albert Hofmann: Heutzutage leben wir in einem materialistischen Zeitalter. Viele Menschen sehen nur noch den äusseren, materiellen Teil und streben und handeln in diesem Bereich. Was dahinter steht, den geistigen Urgrund, nehmen sie nicht mehr wahr. Ich sehe das LSD als Katalysator an. Es ist eines der Mittel, das unsere Aufmerksamkeit, unsere Wahrnehmung auf andere Teile, andere Inhalte unseres menschlichen Daseins lenkt, so dass wir wieder des geistigen Hintergrundes gewahr werden. Was LSD bewirkt, ist eine Reduktion der intellektuellen Kräfte zugunsten eines emotionalen Erfahrens der Welt. Man vergisst sich selbst und wird erfüllt von anderen Dimensionen des Seins, den geistigen Dimensionen, die nur mit dem Herz wahrnehmbaren Dimensionen. Insofern kann LSD Menschen helfen, die bestrebt sind diesen unbefriedigenden, rein materiellen Aspekt der Wirklichkeit zu erweitern und mehr in das Geistige, in das Emotionale, in die Dimensionen des Schönen, des Allumfassenden, der Liebe zu gelangen. Dies ist ein Zustand der Ekstase und darin kann man nicht immer bleiben. Unser Alltag besteht aus zwei Komponenten, der materiellen und der geistigen. Wir können uns nicht nur in der geistigen Welt bewegen, denn im Alltag müssen wir uns wieder mit der materiellen Welt befassen: wir müssen denken und rational handeln. Wichtig ist, dass wir den geistigen Hintergrund nie vergessen und aus diesem geistigen Hintergrund heraus handeln. Und LSD dient da als Katalysator, um in einem einmaligen oder mehrmaligen Erleben der geistigen Welt, neue Masstäbe für den Alltag zu holen.
LSD als pharmakologisches Stimulans ist nur eines der Mittel, um diesen Zustand des anderen Erlebens zu intensivieren. Das kann auch durch Yoga, durch Fasten, durch Isolation, durch Tanz, durch Kunst geschehen.
Haben Sie die Erwartung, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für den Einsatz bewusstseinsverändernder Mittel zunehmen wird und dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen LSD sinnvoll angewendet werden kann?
Albert Hofmann: Ich habe die Hoffnung, dass das geschieht. In gewisser Weise war das in der ersten Zeit so. LSD wurde angewandt in der Psychiatrie und zwar als Hilfsmittel in der Psychoanalyse. Was will man in der Psychoanalyse? Man will vergessene oder verdrängte Bewusstseinsinhalte wieder ins Bewusstsein zurückbringen, um sie zu verarbeiten. Sehr viele geistige Störungen beruhen darauf, dass der Mensch in seinen Problemen, in seinem Ich eingekapselt ist. LSD öffnet dann das Ich-Denken zugunsten eines erweiterten Erlebens. Insofern ist LSD wertvoll gewesen als Hilfsmittel, um zu einem erweiterten Bewusstsein zu kommen. Aus einem isolierten Bewusstsein wegzukommen und zu spüren, dass man Teil von etwas Grösserem ist, hat einen therapeutischen Effekt. Es geht also immer um eine Erweiterung; es geht darum die Dinge in einem grösseren Zusammenhang zu sehen.
Was ist für Sie der wichtigste Effekt, den LSD heutzutage haben kann?
Albert Hofmann: Ein Effekt des LSD hängt mit einem ganz wichtigen Problem zusammen, und das ist die Entfremdung der Natur. Viele Menschen leben in einer städtischen Umgebung, die vollständig vom Menschen gestaltet ist. Diese Entfremdung von der Natur und der Verlust des Gefühls, ein Teil der lebenden Schöpfung zu sein ist etwas vom Schlimmsten. Weil wir nicht mehr wissen, dass wir ein Teil der Natur sind, sind wir in dieses materialistische Zeitalter gekommen und sehen heute die ganze Katastrophe der Umweltzerstörung, die wir dadurch verursacht haben.
Das Wertvollste ist, dass Menschen, die eine positive LSD Erfahrung hatten, zu mir kommen und sagen: “Ich hatte keine Beziehung zur Natur; jetzt liebe ich die Natur und fühle mich wohl in der Natur.” Das innere Wissen, dass wir ein Teil der lebenden Schöpfung sind, ist etwas vom allerwichtigsten, das wir wiedererlangen müssen. Was der Mensch macht, ist sekundär und beruht auf dem von der Natur vorgegebenen: der Erde, der Sonne, den Pflanzen. Das ist die primäre lebendige und im ständigen Wandel begriffene Welt. So kann LSD helfen, dass unser Bewusstein wieder erfüllt wird von diesem Gefühl des Ganzen und dem Einssein mit der Natur.
Wo liegen denn die Gefahren?
Albert Hofmann: Es ist gefährlich, einfach LSD zu nehmen und zu denken, man werde dann weise. Es braucht eine Vorbereitung, man muss wissen, was man erreichen will. Man muss wissen, dass alle Sinnesorgane stimuliert sind. Das Licht wird heller, die Farben werden intensiver, alle Gefühlskomponenten werden intensiviert. Man gerät in eine andere Wirklichkeit und dies kann sehr erschreckend sein. Deswegen ist die meditative Vorbereitung, die Wahl der richtigen Umgebung und Begleitpersonen so wichtig, damit dieses andere Erleben integriert werden kann und nicht erschrickt.
Wie schätzen Sie den Stellenwert dieses pharmakologischen Weges zur Bewusstseinsveränderung ein?
Albert Hofmann: Die pharmakologische Stimulierung ist wirklich nur eine unter vielen Möglichkeiten. Atemtechniken, Yoga, Fasten und viele andere Wege können auch dazu verhelfen.
Es ist ein Weg, der allerdings seit uralten Zeiten gewählt wird. In Untersuchungen habe ich ja festgestellt, dass die Wirkstoffe von mexikanischen Zauberpflanzen LSD-ähnliche Verbindungen sind. Auch bei den Indianern gibt es eine lange Vorbereitung durch Gebete, Fasten, Wahl der richtigen Umgebung und durch geistige Führung.
Die Indianer sagen, dass man mit Gott in Kontakt kommt, wenn diese Bedingungen erfüllt sind. Wenn man es unterlässt, kann der Pilz töten oder einen Menschen in den Wahnsinn treiben. Diese Erfahrungen hätte man eigentlich beiziehen sollen, als man mit LSD zu experimentieren begann. Denn LSD ist, sowohl was die Chemie als auch die Wirkungsweise anbelangt, eng verwandt mit den mexikanischen Zauberpilzen. Seit Urzeiten hat der Mensch diese Stoffe verwendet. Wir haben in einer Untersuchung mit amerikanischen Kollegen festgestellt, dass bei den Mysterien von Eleusis (ein geistiges Zentrum im antiken Griechenland), LSD-ähnliche Stoffe angewendet wurden, um sich mit dem göttlichen Sein zu verbinden. Da solche Erfahrungen aber eben erschreckend sein können, wurde diese Erfahrung lange und mit grossen Zeremonien vorbereitet. Allein der Marsch von Athen nach Eleusis dauerte eine Woche. In Eleusis bekamen sie einen Trank, das ist geschichtlich erwiesen. Und nach dem Kykeon, diesem Trank, hatten sie ein Erlebnis des Einsseins, des Unaussprechlichen. Solche Erfahrungen lassen sich nicht in Worte fassen und deswegen durfte auch nicht über die Erfahrung selbst,sondern nur über die Bedeutung der Erfahrung gesprochen werden. Dort wurde also auch dieser pharmakologische Weg gewählt, aber immer verbunden mit einer Vorbereitung. Wenn man LSD anwenden will, muss man es wie damals in einem zeremoniellen Rahmen in einem geistigen Zentrum anwenden.
Aber LSD darf nicht profaniert werden, es benötigt eine bestimmte geistige Reife und den richtigen Rahmen. Probleme entstehen dann, wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind. Bei den Indianern sind diese Substanzen in den Händen der Schamanen, der Heilpriester. In unserer Kultur haben wir weder ein Eleusis noch entsprechende Institutionen, und auch keine Schamanen. Die Heilpriester unserer Gesellschaft sind vorläufig am ehesten die Psychiater. Sie haben mit der Psyche und der geistigen Heilung zu tun. Also gehören psychedelische Substanzen in die Hände der Psychiater. Wenn wir entsprechende Einrichtungen schaffen, kann die Anwendung erweitert werden.
Hatten Sie schon vor der Entdeckung des LSD Erfahrung mit veränderten Bewusstseinszuständen oder sind Sie durch diese Entdeckung ganz unvermittelt mit dieser Thematik konfrontiert worden?
Albert Hofmann: Mein Buch «LSD – mein Sorgenkind» beginnt mit der Beschreibung eines visionären, mystischen Erlebnisses, das ich als Kind hatte. Ich ging an einem Maimorgen durch den Wald und auf einmal erschien mir alles in einem wunderbaren, neuen Licht. Es ist so schwierig dies in Worte zu fassen. Alles erschien mir wunderbar. Es war ein Erkennen und das Gefühl bisher blind gewesen zu sein. Dieses Einssein war ein ungeheures Erlebnis, das ich nicht einmal zu erzählen wagte. Ich bewahrte es aber als grossen Schatz in mir.
Ich hatte als Kind noch einige Male ähnliche Erlebnisse, aber immer in einer natürlichen Umgebung. Deswegen ist es eben auch so wichtig, bei LSD Erfahrungen in einer lebendigen natürlichen Umgebung zu sein. Eine LSD Erfahrung in einer Discothek, in einer lärmigen Stadt kann geradezu tödlich wirken. So sind diese Unfälle passiert, bei denen jemand auf einen «Horrortrip» kam und mit dem Diabolischen konfrontiert und davon erfüllt wurde.
Haben diese Erlebnisse Ihre weitere Entwicklung beeinflusst oder geprägt?
Albert Hofmann: Es gab mir das Gefühl, dass ich die Wahrheit gesehen habe und die Sicherheit, dass eine wunderbare.ungeheuer tiefe Wirklichkeit hinter dem Alltagserleben existiert. Es ist ein Einssein, ein kosmisches Gefühl. Das hat mein Leben geprägt. Normalerweise ahnen wir höchstens, dass unsere Welt kein Zufallsprodukt sein kann und dass eine geistige Kraft dahinterstehen muss.
Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Lucius Werthmüller ist Stiftungsrat der Gaia Media Stiftung und Präsident des Basler PSI-Vereins.
© Lucius Werthmüller 1995