Das verbotene Gehirn

von Bruno Martin

Intelligenz kann Fäden kreativen Potenzials mit verfügbaren Ressourcen und Umständen verknüpfen.
Anthony Blake

Ist das Bewusstsein nun vom Gehirn abhängig oder das Gehirn vom Bewusstsein? Wir haben es hier mit einer klassischen Paradoxie zu tun. Ein Gehirn, das über sich selbst reflektieren kann, ist ein logisches Problem ähnlich dem Bild von M.C. Escher, in dem zwei Hände sich selbst malen. Für das reale Ich-Bewusstsein ist es kein Problem – es ist nur ein Problem für die Logik.(1)
Im normalen Leben ist man daran gewohnt, dass es oft nicht logisch zugeht. Die Möglichkeit der Selbstbezüglichkeit und der Selbstreflexion innerhalb des Gehirns lässt sich kausal mit unterschiedlichen Ebenen der Informationsverarbeitung erklären, z.B. dass Erinnerungen, auf die wir bei einem aktuellen Denkprozess zugreifen können, an anderer Stelle abgelegt sind, als die momentane Wahrnehmungsverarbeitung. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Schaltkreise für die Abarbeitung unterschiedlicher Aufgaben, die grösstenteils unterhalb der Bewusstheitsschwelle vor sich gehen.
Es muss eine Art «Quantensprung» in eine höhere Ebene geben, damit wir eine individuellen Bewusstheit und Selbstwahrnehmung mit einem Bewusstsein verbinden können, das nicht an das Gehirn gebunden ist. Die Selbstbewusstheit im Gehirn ist Schaltstation und Schnittstelle zugleich, vergleichbar mit der eigenartigen Verbindung der Gliazellen und Nervenzellen. Diese Schnittstelle verbindet und verschränkt uns im Bewusstseinsfeld mit allen anderen Konzentrationen oder im übertragenen Sinne «Molekülen» von Bewusstseinsquanten.
Auf der tieferen Ebene der verwickelten Hierarchie zeigt das Gebiet der Psycho-Neuro-Immunologie die vielfältigen und beinahe unfassbar komplexen Verbindungen zwischen Gehirn und Immunsystem auf. Nervensystem und Immunsystem kommunizieren eindeutig miteinander. So können körpereigene, schmerzstillende (und Lust erzeugende) Neurotransmitter wie Endorphine die Aktivität der Lymphozyten verändern. Es wird auch angenommen, dass Emotionen das Gehirn veranlassen, entsprechende Botenstoffe auszuschütten, um die Immunabwehr anzustossen. Die chemischen Botenstoffe wandern entweder zu den Zellen, wo sie gebraucht werden, oder es werden die dafür notwendigen Gene direkt angeschaltet, so dass die Neurotransmitter an Ort und Stelle produziert werden. Umgekehrt können die Gene auch abgeschaltet werden, falls sie zuviel von irgendwelchen Stoffen im unpassenden Moment herstellen.(2)
Es wird vermutet, dass Zellen zu Krebszellen entarten, wenn die Informationssteuerung und Selbstreparaturfähigkeit von Zellverbänden versagt. Ebenso sind Allergien «Autoimmunkrankheiten», weil bestimmte Informationen im Körper zu überschiessenden Reaktionen führen. Man weiss inzwischen sehr viel über das Immunsystem, das ebenso wie andere Teile des Körpers offenbar ein eigenes «Bewusstsein» besitzt. Und es funktioniert im Normalfall ausserordentlich effizient.
Mit verschiedenen Botenstoffen kann sich das Gehirn sogar selbst in unterschiedliche Bewusstseinszustände bringen. Es produziert schmerzstillende und anregende Botenstoffe, kann Reize verstärken oder blockieren, je nach Bedarf. Ausserdem hat es Rezeptoren für eine Vielfalt von endogenen (innen entstehenden) wie exogenen (von aussen kommenden) bewusstseinsverändernden Substanzen wie Opiate, Nikotin, THC, Alkaloide, Phenethylaminen und Tryptaminen. Das System ist so offen angelegt, dass biochemische Substanzen von aussen dieselben Rezeptoren an den Synapsen belegen können, die auch von endogenen Botenstoffen aufgesucht werden.(3)
Wenn die Stoffe nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip nicht genau passen, werden indirekte Funktionen eingeschaltet. Erstaunlicherweise hat die Evolution für die meisten psychoaktiven Substanzen entsprechende Rezeptoren geschaffen, es gibt sogar ein eigenes «Cannabinoidsystem», also eine Menge Rezeptoren für den Wirkstoff von Cannabis. Warum wohl? Wusste die Intelligenz der Evolution schon immer, dass manche Menschen gerne einen Joint rauchen? Für Alkohol gibt es nebenbei gesagt auch viele Rezeptoren. Und da das Gehirn ökonomisch effizient arbeitet, hört es auf, bestimmte endogene Substanzen zu produzieren, wenn diese regelmässig von aussen zugeführt werden. Daher sind einige – aber nicht alle – psychoaktiven Substanzen suchtbildend.
Die körperlich nicht süchtig machenden psychoaktiven Tryptamine wie Psilocybin, DMT und LSD wirken hauptsächlich auf das körpereigene Serotoninsystem des Gehirns ein. Es wird vermutet, dass die Substanzen die Wirkungen des Serotonins «imitieren», in anderen Fällen auch unterbinden. Es gibt ungefähr zwanzig verschiedene Typen von Serotoninrezeptoren im Gehirn. Das ist eine Anzahl, die sonst nicht für andere Botenstoffe gebraucht werden. Das hängt damit zusammen, dass diese vielfachen Andockstätten für Serotonin sich in hohen Konzentrationen auf den Nervenzellen der Gehirnregionen befinden, die eine Vielzahl wichtiger psychischer und physischer Prozesse steuern: Herz- und Kreislaufsystem, Hormonsystem, Regelung der Körpertemperatur, Schlaf und Nahrungsaufnahme, Stimmungen, Wahrnehmung und motorische Kontrolle.(4)
Ich erwähne diese besonderen Eigenschaften des Serotoninsystems im Zusammenhang mit psychoaktiven Substanzen deshalb, weil es uns auf die Spur der Schnittstelle zum Bewusstseinsfeld bringen kann.
Ein Beleg dafür ist für mich, dass die Einnahme von psychoaktiven Substanzen, insbesondere der psychedelischen wie LSD, nach neuesten Erkenntnissen (5) die äussere Konzentrationsfähigkeit wesentlich absenkt, dafür aber die innere Bewusstheit und innere Aufmerksamkeit wesentlich erhöht. Ausserdem wird die Wahrnehmungsfähigkeit aller Sinne vertieft und erweitert. Die seriösen Forscher weisen auch deutlich darauf hin, dass diese Erfahrungen keine «Halluzinationen» sind. Meistens geht das Erleben mit diesen Substanzen einher mit einem aufregenden Gefühl der Ganzheit, einer Intensivierung der visuellen und akustischen Wahrnehmungen und Veränderungen des Zeitempfindens. Ein geübter Konsument kann ganz genau unterscheiden zwischen «Einbildung» und tatsächlicher Bewusstseinssteigerung oder Intensität des Erlebens. Er ist sogar in der Lage, diese Erfahrung selbst zu beeinflussen. EEG-Messungen des Gehirns während eines LSD-Trips zeigen, dass der Proband kohärente Gehirnwellenmuster erzeugen kann, wenn er die Absicht dazu hat.(6)
Das einzige Problem ist, wenn ein junger, ungefestigter Mensch durch eine solche Substanz mit einer grossen Menge von Eindrücken überschwemmt wird und noch nicht ausreichend das eigene Bewusstsein «trainiert» hat, um damit zurechtzukommen. Deshalb spielen «Set» und «Setting» und eine kundige Anleitung eine grosse Rolle. Auch Bewusstseinsveränderung muss trainiert werden. Schamanen, die pflanzliche Bewusstseinstränke nehmen, müssen zuerst eine längere Ausbildung dafür machen. Aus diesem Grund führt die Illegalität solcher bewusstseinsverändernden Substanzen eher zu Problemen als zu einer vernünftigen Lösung. Für die Evolution des menschlichen Bewusstseins sollten alle nicht süchtig machenden Substanzen legalisiert werden, so dass jeder erwachsene Mensch die Möglichkeit bekommt, die Welten des Bewusstseins intensiver zu erkunden. Aber vielleicht haben die Politiker mehr Interesse daran, grölende und literweise Bier saufende Menschen mit eingeschläfertem Bewusstsein zu regieren, die ihnen unkritisch folgen?
Die Chemie der Wirkungen vieler dieser Substanzen ist recht gut erforscht. Die körpereigenen Dopamin- und Serotoninsysteme sind massgeblich daran beteiligt. Aus politischen Gründen ist jedoch noch sehr wenig darüber erforscht, wie die Veränderungen der Gehirnchemie direkt mit dem subjektiven und inneren Erleben in Verbindung stehen. «Wir spüren nicht, dass ein Serotoninrezeptor blockiert wird, sondern verspüren Ekstase. Wir sehen die Aktivierung des Stirnlappens nicht, sondern nehmen ‚Engel oder Dämonen’ wahr… Psychedelische Substanzen wirken auf alle geistig-seelischen Aktivitäten ein: auf die Wahrnehmung, die Gefühle, das Denken, die Körperwahrnehmung und unser Empfinden von unserem Selbst.»(7)
Ich stelle wieder einmal die «Warum-Frage»: Warum haben wir im Alltagsbewusstsein nicht diese intensiven Wahrnehmungen, wenn das körpereigene System die Möglichkeit dafür vorgesehen hat? Das Gehirn kommt normalerweise ganz gut mit der alltäglichen Reizüberflutung klar, und die Reizüberflutung bei Einnahme der Psychedelika ist in dieser Hinsicht sicherlich auch nicht grösser, nur anders und braucht deshalb eine gewisse Zeit der Übung, damit sich das Bewusstsein darauf einstellen kann.
Es gibt eine Reihe Methoden ohne die Einnahme von Substanzen, um veränderte Bewusstseinszustände zu erreichen. Meditation, Trance, Tanz sind die bekanntesten. Bei diesen Aktivitäten wird verstärkt Dopamin hergestellt. «Wer unter Depressionen leidet und sich dennoch zu einem Dauerlauf oder zu einem spontan-wilden Tanz entschliessen kann, wird die stimmungshebende Wirkung von Noradrenalin (mobilisiert durch Laufen) und Dopamin (mobilisiert durch Tanzen) angenehm spüren.»(8)
Messungen unter Verwendung bildgebender Verfahren haben ergeben, dass bei geübten Probanden in tiefer Meditation, die ihre Erfahrung hinterher als «mystisch» eingestuft haben, dieselben Gehirnareale aktiviert werden wie bei der Verabreichung von LSD. Offenbar aktivieren beide Methoden dieselbe Schnittstelle im Gehirn. Meditationstechniken, die zusammen mit Klängen, Bildern oder Visualisationsübungen durchgeführt werden, lassen besondere Wellenmuster im Gehirn entstehen, dessen Felder eine Resonanz auslösen. Diese Felder wiederum versetzen vielfache Systeme in eine Schwingung; der ganze Körper kommt in Resonanz mit der Schwingung, die durch einen veränderten Bewusstseinszustand entsteht. Bei bestimmten Klangfrequenzen oder inneren Schwingungen schwingt auch die Zirbeldrüse mit und setzt ihre Stoffe frei.
Man kann also nicht sagen, dass ein veränderter Bewusstseinszustand von der Substanz verursacht wird, sondern dass diese genauso wie eine selbstinduzierte Bewusstseinsveränderung eine Möglichkeit eröffnet, eine Verbindung mit dem Bewusstseinsfeld herzustellen. Diese Schnittstelle ist offenbar die bereits erwähnte Zirbeldrüse.(9)
«Die allgemeine Hypothese lautet, dass die Zirbeldrüse an aussergewöhnlichen Zeitpunkten unseres Lebens DMT [ein Tryptamin, chemisch verwandt mit dem LSD und dem Botenstoff Serotonin] in psychedelisch wirksamen Mengen bildet. Die Produktion von DMT in der Zirbeldrüse ist die physische Entsprechung nichtmaterieller oder energetischer Prozesse. Sie eröffnet uns einen Weg, auf dem wir die Bewegung unserer Lebenskraft in ihren extremsten Manifestationen bewusst erleben. Spezifische Beispiele für dieses Phänomen sind folgende: Wenn unsere individuelle Lebenskraft in unseren embryonalen Körper eintritt, also in dem Augenblick, in dem wir wirklich zu Menschen werden, geht sie durch die Zirbeldrüse hindurch und löst den ersten, uranfänglichen Schwall von DMT aus. Später, bei der Geburt, schüttet die Zirbeldrüse weiteres DMT aus. Einigen von uns vermittelt DMT aus der Zirbeldrüse im Zustand tiefer Meditation, in der Psychose oder bei Nahtoderfahrungen zentrale Erfahrungen. Wenn wir sterben, verlässt die Lebenskraft den Körper durch die Zirbeldrüse und setzt einen weiteren Schwall dieses psychedelischen Bewusstseinsmoleküls frei.» (10)
Die Zirbeldrüse enthält auch die notwendigen Grundbausteine zur Herstellung von DMT, sie hat die höchsten Konzentrationen von Serotonin im ganzen Körper. Sie kann dieses sogar in Tryptamin umwandeln. Die einzigartigen Enzyme, die Serotonin, Melatonin oder Tryptamin in psychedelische Verbindungen umwandeln, sind ebenfalls in aussergewöhnlich hoher Konzentration in der Zirbeldrüse vorhanden. Sie produziert auch noch andere wichtige Substanzen wie die Beta-Carboline, die den Abbau von DMT verhindern, die körpereigenen MAO (Monoaminoxidasen). Das Pflanzengebräu Ayahuasca, das von Schamanen am Amazonas als bewusstseinserweiterndes und heilendes Getränk benutzt wird, setzt sich zusammen aus DMT und MAO, wobei der MAO-Hemmer verhindert, dass DMT zu schnell abgebaut wird.
Die ekstatischen, euphorischen Gefühle, die bei der Anwendung von Tryptaminen entstehen, beruhen auf Wechselwirkungen mit dem Hypothalamus, der Schaltstelle des Limbischen Systems und der Hormonzentrale des Gehirns. «Weil dem Hypothalamus bei der Regelung der Gehirnsysteme eine so wichtige Rolle zufällt, wird er oft als das Gehirn des Gehirns bezeichnet. … Der Hypothalamus steuert auch die Hirnanhangdrüse (Hypophyse), ein lebenswichtiges Organ, das alle wichtigen Drüsen des Körpers beeinflusst. Diese Systeme aktivieren wiederum Mandelkern und Hirnstamm, die das sympathische Nervensystem anregen.»(11)
Die Gehirnforscher betonen, dass der grösste Hersteller und Konsument von psychoaktiv wirkenden Substanzen das menschliche Gehirn ist. Sollen wir deshalb das Gehirn für illegal erklären? Es gibt mindestens 60 Neuropeptide, die aus den einfachen Aminosäurenbausteinen in der Zelle hergestellt werden. Die Neuropeptide sind vergleichbar mit den Photonen und erfüllen ebenfalls eine Doppelfunktion: Im Gehirn wirken sie als Neurotransmitter und im Körper als Hormone. Die Neuropeptid-Rezeptoren sind im ganzen Körper verteilt und vorhanden und so möglicherweise die physiologische Basis des Bewusstseins. «Ich glaube», sagt die grosse Erforscherin der Neuropetide, Candace Pert, «dass wir anfangen müssen, darüber nachzudenken, wie Geist und Bewusstsein in den verschiedenen Regionen des Körpers funktionieren und wie sie dort hinkommen.»(12)
Die Evolution ist schon sehr schlau gewesen. Sie benutzt dieselben aktiven Proteine als Hormone im Körper und als Neurotransmitter im Gehirn. Je nach dem wo eines dieser Peptide gebraucht wird, wird es von den Genen erzeugt. «Bei der Vernetzung und Komplexität von neuronalen und endokrinen Interaktionen ist es grundsätzlich schwierig, mit linearen Methoden befriedigende Antworten zu erhalten. Sowohl mehrere Einflussfaktoren, z. B. andere Transmitter und Modulatoren oder Situationsvariablen wie Stress als auch Rückkoppelungseffekte müssen immer gleichzeitig berücksichtigt werden.»(13) Die verwickelte Vernetzung von Körpersystemen und Gehirnsystemen ist so ausserordentlich komplex, dass nicht nur selbstbezügliche Schleifen die Organisation übernehmen können. Deshalb ist meine Hypothese von der zeitlosen Informationsübertragung mit Hilfe intelligent operierender Bewusstseinsquanten eine mögliche Antwort.

 

Anmerkungen

(1) Thomas Görnitz: Quanten sind anders, München 2006, S. 282

(2) Der Nobelpreis für Medizin 2006 ging an die US-amerikanischen Forscher Craig C. Mello und Andrew Z. Fire, die herausfanden, wie Gene regelrecht durch einen bestimmten Zellvorgang stillgelegt werden können.

(3) Ausführlich zu diesem Thema siehe: Josef Zehentbauer: Körpereigene Drogen, München und Zürich 1992

(4) ausführlich in: Dr. Rick Strassman: DMT, Baden 2004. S. 64ff

(5) Vorträge von Dr. med. Torsten Passie von der Medizinischen Hochschule Hannover und Dr. med. Franz X. Vollenweider, Psychiatrische Universitätslinik Zürich, auf dem Symposium «LSD-Sorgenkind und Wunderdroge» in Basel vom 13.-15. Januar 2006

(6) Persönliche Mitteilung eines Forschers.

(7) Strassman, a.a.O. S. 65

(8) J. Zehentbauer, a.a.O., S. 57

(9) Zirbeldrüse – siehe Kapitel 4

(10) Dr. Rick Strassman: DMT, Baden 2004, S. 104

(11) John Ratey, Das menschliche Gehirn – Eine Gebrauchsanweisung, Düsseldorf 2001, S. 207

(12) zitiert in Johannes Holler: Das neue Gehirn, Südergellersen 1991, S. 83, leider ohne Quellenangabe.

(13) Holler, a.a.O., S. 83

Aus: Bruno Martin, Intelligente Evolution, München 2007. Mit freundlicher Genehmigung

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