Revision der Psychologie

Das Erbe eines halben Jahrhunderts Bewusstseinsforschung
Von Stanislav Grof

Aufgrund meiner Beschäftigung mit aussergewöhnlichen Bewusstseinszuständen, die ich «holotrop» nenne und mit denen ich nun schon mehr als fünfzig Jahren arbeite, schlage ich eine grundlegende Revision der Prämissen der modernen Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie vor. Diese betreffen die Natur des Bewusstseins, dessen Beziehung zur Materie, die Dimensionen der menschlichen Psyche, die Struktur der emotionalen und psychosomatischen Störungen sowie bestimmte Strategien der Psychotherapie. Aus meiner Sicht scheint Spiritualität ein wesentliches Attribut der menschlichen Psyche und der menschlichen Existenz im Allgemeinen zu sein. Eine besondere Bedeutung für die Bewusstseinsforschung – wichtig und dennoch umstritten, und hier auch nur sehr oberflächlich behandelt – kommt dabei auch der archetypischen Psychologie und der Astrologie zu.

Moderne Bewusstseinsforschung und die Entstehung eines neuen Paradigmas

Im Jahr 1962 veröffentlichte Thomas Kuhn, einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, sein bahnbrechendes Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (Kuhn 1967). Nach fünfzehn Jahren intensiven Studiums der Geschichte der Wissenschaft ist er zu dem Schluss gekommen, dass die Entwicklung des Wissens über das Universum in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen sich nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, als Prozess einer allmählichen Anhäufung von Daten sowie der Formulierung immer genauerer Theorien vollzieht. Stattdessen zeigt diese Entwicklung eine eindeutig zyklische Eigenschaft mit genauen Abstufungen und einer charakteristischen Dynamik, die erkannt und sogar vorhergesagt werden kann.
Die zentrale Idee von Kuhns Theorie ist das Konzept des Paradigmas. Ein Paradigma kann als eine Konstellation von Überzeugungen, Werten und Techniken definiert werden, die von Mitgliedern der Wissenschaftsgemeinde einer bestimmten historischen Periode geteilt werden. Ein Paradigma regelt deren Denk- und Forschungsaktivitäten, bis einige der Grundannahmen durch neue Beobachtungen ernsthaft in Frage gestellt werden. Dies führt zu einem Wendepunkt und zur Entstehung völlig neuer Sichtweisen und Interpretationen von Phänomenen, die das alte Paradigma nicht erklären kann. Schliesslich erfüllt einer dieser neuen Denkansätze die notwendigen Anforderungen für ein neues Paradigma, das wiederum die nächste Periode der Geschichte der Wissenschaft dominiert.
Die bekanntesten historischen Beispiele wichtiger Paradigmenwechsel waren der Ersatz des ptolemäischen geozentrischen Weltbildes durch das heliozentrische System von Kopernikus, Kepler und Galileo, die Widerlegung von Bechers Phlogistontheorie in der Chemie durch Lavoisier und Daltons Atomtheorie. Auch die konzeptionellen Umwälzungen in der Physik in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, die die Hegemonie der Newtonschen Physik aufbrachen und Theorien der Relativität und der Quantenphysik hervorbrachten, gehören dazu. Paradigmenwechsel überraschen üblicherweise die etablierten Forschungsgemeinden, deren Mitglieder meist die führenden Paradigmen für die einzige definitive Beschreibung der Wirklichkeit halten. So stellte im Jahr 1900, kurz vor der Entdeckung der Quantenphysik Lord Kelvin fest: «In der Physik gibt es nichts Neues mehr zu entdecken. Was zu tun bleibt, ist lediglich genauere Messungen vorzunehmen.»
In den letzten fünf Jahrzehnten haben verschiedene Gebiete der modernen Bewusstseinsforschung eine reiche Palette an «anomalen Phänomenen» entdeckt – Erfahrungen und Beobachtungen, die viele der allgemein anerkannten Annahmen der modernen Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie untergraben haben. Diese Befunde beziehen sich auf die Beschaffenheit und die Dimensionen der menschlichen Psyche, die Ursprünge emotionaler und psychosomatischer Störungen sowie wirksame therapeutische Behandlungen. Viele dieser Beobachtungen stellen in ihrer Radikalität die metaphysischen Prämissen der materialistischen Wissenschaft, was die Beziehung zwischen Bewusstsein und Materie sowie die Beschaffenheit des Menschen und der Realität angeht in Frage.

Holotrope Bewusstseinszustände 

Seit mehr als einem halben Jahrhundert befasse ich mich mit der Erforschung einer wichtigen Untergruppe aussergewöhnlicher Bewusstseinszustände, für die ich den Begriff holotrop geprägt habe. Diese Erkenntnisse stellen eine grosse Herausforderung für die bestehenden wissenschaftlichen Paradigmen dar. Zuvor möchte ich aber den Begriff holotrop erklären, den ich hier verwenden werde. All die Jahre war es mein Hauptinteresse, das heilende, transformative und evolutionäre Potenzial aussergewöhnlicher Bewusstseinszuständen zu erforschen und ihren grossen Wert als Quelle für neue revolutionäre Erkenntnisse über das Bewusstsein, die menschliche Psyche und die Beschaffenheit der Realität herauszuarbeiten.
Von diesem Gesichtspunkt aus ist der Begriff «veränderte Bewusstseinszustände» (altered states of consciousness, Tart 1969), der häufig von Schulmedizinern und Forschern verwendet wird, nicht geeignet, da er auf einseitige Weise den Akzent legt auf eine Verzerrung oder eine Beeinträchtigung einer sogenannten «richtige Art und Weise», sich selbst und die Welt zu erleben. (In der amerikanischen Umgangssprache und im veterinären Jargon bedeutet der Begriff «to alter» die Kastration von Haustieren, wie Hunde und Katzen).
Selbst die etwas bessere Bezeichnung «aussergewöhnliche Bewusstseinszustände» ist zu allgemein, da hier ein breites Spektrum von Bedingungen einbezogen wird, die für den Gegenstand dieser Abhandlung nicht relevant sind. Dazu gehören gewöhnliche Delirien, die durch Infektionen, Tumore, Missbrauch von Alkohol oder Kreislaufproblemen und degenerativen Erkrankungen des Gehirns verursacht werden. Diese Veränderungen des Bewusstseins sind mit Desorientierung, Beeinträchtigung der intellektuellen Funktionen und anschliessender Amnesie verbunden. Sie sind klinisch wichtig, haben aber kein therapeutisches und heuristisches Potenzial.
Der Begriff holotrop bezieht sich auf eine grosse Untergruppe aussergewöhnlicher Bewusstseinszustände, die von grosser theoretischer und praktischer Bedeutung sind. Es sind die Zustände, die die Novizen der Schamanen während ihrer initiatorischen Krisen erfahren und später im Leben in ihren Klienten zu therapeutischen Zwecken hervorrufen. Alte Stammeskulturen und indigene Gesellschaften haben sich dieser Zustände seit Jahrtausenden in Übergangsriten und Heilzeremonien bedient. Sie wurden von Mystikern aller Zeiten und Eingeweihten in den alten Mysterien von Tod und Wiedergeburt beschrieben. Methoden zur Herbeiführung holotroper Zustände wurden im Rahmen der grossen Weltreligionen entwickelt und angewendet – im Hinduismus, Buddhismus, Jainismus, Taoismus, Islam, Judentum, Zoroastrismus und im Christentum.
Die Bedeutung holotroper Zustände für alte und indigene Kulturen zeigt sich im Umfang der Zeit und Energie, die ihre Mitglieder der Entwicklung von «Technologien des Heiligen» widmeten, verschiedene Methoden um solche Zustände für rituelle und spirituelle Zwecke hervorzurufen. Diese kombinieren in unterschiedlicher Weise Trommeln und andere Schlaginstrumente , Musik, Gesang, rhythmischer Tanz, Veränderungen des Atemrhythmus und besondere Formen der Aufmerksamkeit. Soziale und sensorische Isolation über längere Zeit in einer Höhle, in der Wüste, im Eis der Arktis oder im Hochgebirge spielen eine wichtige Rolle, um holotrope Zustände zu erzeugen. Ebenso extreme körperliche Herausforderungen wie Fasten, Schlafentzug, Dehydration, hochwirksame Abführmittel, ja sogar Zufügung von Schmerzen, Verstümmelung des Körpers und Aderlass. Das weitaus wirksamste Instrument, heilende und transformative aussergewöhnliche Bewusstseinszustände hervorzurufen, ist der rituelle Gebrauch psychedelischer Pflanzen.
Als ich mir über die Einzigartigkeit dieser Bewusstseinszustände klar wurde, konnte ich kaum glauben, dass die heutige Psychiatrie keine spezifische Kategorie und Bezeichnung für diese theoretisch und praktisch wichtigen Erfahrungen hat. Weil ich überzeugt war, dass sie von den sogenannten veränderten Bewusstseinszuständen unterschieden und nicht als Anzeichen ernsthafter Geisteskrankheiten betrachtet werden sollten, habe ich für sie einen speziellen Namen geprägt: ich nannte sie holotrop. Dieser zusammengesetzte Terminus bedeutet wörtlich «auf Ganzheit ausgerichtet» oder «sich in Richtung Ganzheit bewegen» (aus dem Griechischen holos = ganz und trepo/trepein = sich an etwas orientieren oder sich in die Richtung von etwas bewegen). Das Wort holotrop ist ein Neologismus, es ist aber mit dem häufig verwendeten Begriff «Heliotropismus» verwandt – die Eigenschaft von Pflanzen, sich immer in der Richtung der Sonne zu bewegen.
Der Name holotrop beinhaltet eine Botschaft, die im Westen einen normalen Menschen überraschen könnte: in unserem Alltagsbewusstseinszustand erfassen wir nur einen kleinen Bruchteil dessen, wer wir wirklich sind und erleben nicht die volle Dimension unseres Seins. Holotrope Bewusstseinszustände haben das Potenzial, uns zu zeigen, dass wir nicht «hautumhüllte Egos» sind, wie es der britische Philosoph und Autor Alan Watts charakterisierte (Watts 1961), sondern dass wir in letzter Instanz dem kosmischen schöpferischen Prinzip entsprechen. Oder, um die Aussage von Pierre Teilhard de Chardin, dem französischen Paläontologen und Philosophen, zu verwenden: «Wir sind nicht menschliche Wesen, die spirituelle Erfahrungen haben, sondern spirituelle Wesen, die menschliche Erfahrungen haben» (Teilhard de Chardin 1975).
Diese erstaunliche Vorstellung ist nicht neu. In den alten indischen Upanishaden lautet die Antwort auf die Frage: «Wer bin ich?», «Tat tvam asi». Dieser knappe Satz in Sanskrit bedeutet wörtlich: «Du bist Das», wobei «Das» sich auf die Gottheit bezieht. Dies heisst, dass wir nicht «namarupa», Name und Form (Körper / Ego) sind, sondern dass unsere tiefste Identität mit einem Funken göttlicher Energie in unserem innersten Wesen (Atman) versehen ist. Atman wiederum ist identisch mit dem höchsten universellen Prinzip (Brahman), das für die Schöpfung des Kosmos verantwortlich ist. Der Hinduismus ist nicht die einzige Religion, die dies entdeckt hat.
Diese Offenbarung – die Identität des Individuums mit dem Göttlichen – ist das höchste Geheimnis, das dem mystischen Kern aller grossen spirituellen Traditionen zugrunde liegt. Der Name für dieses Prinzip könnte also das Tao, Buddha, Shiva (des Kaschmir Shivaismus), kosmischer Christus, Allah, Pleroma, der Grosse Geist und viele andere heissen. Holotrope Erfahrungen haben das Potenzial, uns zu helfen, unsere wahre Identität und unseren kosmischen Status zu entdecken (Grof 1998). Manchmal geschieht dies in kleinen Schritten, ein anderes Mal in der Form von grossen Durchbrüchen.

Holotrope Bewusstseinszustände und moderne Psychiatrie

Psychedelische Forschung und die Entwicklung intensiver Erfahrungstechniken in der Psychotherapie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachten die holotropen Zustände aus der Welt der Heiler aus alten schriftlosen Kulturen in die moderne Psychiatrie und Psychotherapie. Therapeuten, die offen waren für diese Zustände und sie in ihrer Praxis nutzten, konnten ihre aussergewöhnliche Heilkraft bestätigen. Sie entdeckten auch ihren Wert als Goldgruben neuer revolutionärer Informationen über das Bewusstsein, die menschliche Psyche und die Beschaffenheit der Wirklichkeit.
Ich entdeckte die bemerkenswerten Eigenschaften der holotropen Zustände 1956, als ich als angehender Psychiater freiwillig an einem Experiment mit LSD-25 teilnahm. Während diesem Experiment , in dem die pharmakologische Wirkung von LSD mit dem Effekt eines starken Stroboskops («Treiben» oder «Training» der Gehirnwellen genannt) kombiniert wurde, hatte ich eine überwältigende Erfahrung kosmischen Bewusstseins (Grof 2006).
Zwischen der dritten und vierten Stunde meiner Sitzung, als meine LSD-Erfahrung ihrem Höhepunkt zusteuerte, erschien die wissenschaftliche Mitarbeiterin meines Versuchsleiters George Roubíček und verkündete, dass es Zeit für ein EEG war. Sie führte mich in eine kleine Kabine, fixierte sorgfältig die Elektroden auf meiner Kopfhaut und bat mich, mich hinzulegen und die Augen zu schliessen. Dann platzierte sie eine riesige Stroboskoplampe über meinen Kopf und schaltete sie ein.
Ich wurde von einer Vision von Licht unglaublicher Stärke und übernatürlicher Schönheit erfasst. Es erinnerte mich an die Schilderungen mystischer Erfahrungen, die ich in Büchern über Spiritualität gelesen hatte. Die Visionen des göttlichen Lichts werd en mit dem Glühen von «Millionen von Sonnen» verglichen. Es fiel mir auch ein, dass es wohl so im Epizentrum der atomaren Explosionen in Hiroshima oder Nagasaki ausgesehen haben musste. Heute denke ich, es war höchstwahrscheinlich Dharmakaya oder das «Primäre klare Licht», die Leuchtkraft von unbeschreiblicher Brillanz, die uns gemäss dem Tibetischen Totenbuch im Augenblick unseres Todes erscheint. Ich fühlte, dass ein göttlicher Blitz mein bewusstes Selbst aus meinem Körper katapultierte. Ich vergass die Forschungsassistentin, das Labor, die psychiatrische Klinik, Prag und dann unseren Planeten. Mein Bewusstsein erweiterte sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit und erreichte kosmische Dimensionen. Es gab keine Grenzen mehr oder Unterschiede zwischen mir und dem Universum. Die Forschungsassistentin folgte sorgfältig dem Protokoll. Sie begann mit der Frequenz von 2 Hertz (Frequenzen per Sekunde), erhöhte sie allmählich auf 60 Hertz und wieder zurück. Sie setzte dann die Frequenz für eine gewisse Zeit in die Mitte der Alpha-, dann der Theta- und schliesslich der Delta-Bandbreite.
Während dieser Zeit fand ich mich inmitten eines kosmischen Dramas unvorstellbaren Ausmasses. Ich war Zeuge galaktischer Vorgänge, für die ich damals keine Namen hatte. In der astronomischen Literatur, die ich später entdeckt habe, fand ich Phänomene wie Urknall, schwarze und weisse Löcher, Wurmlöcher, explodierende Supernovas, kollabierende Sterne und ähnliches mehr. Diese Begriffe schienen die fantastischen Erfahrungen zu beschreiben, die ich während dieser aussergewöhnlichen LSD-Sitzung erfahren habe.
Als die Stroboskoplampe ausgeschaltet wurde, begann mein Universum wieder zu schrumpfen, ich fand zurück auf unseren Planeten, nach Prag, in die Klinik und zuletzt auch in meinen Körper. Mein Bewusstsein schwebte um meinen Körper herum, und ich hatte zuerst Schwierigkeiten, beide wieder in Einklang zu bringen. Mir war klar, dass das, was ich in der medizinischen Fakultät gelernt hatte – dass das Bewusstsein ein Produkt der physiologischen Vorgänge in dem Gehirn sei – nicht wahr sein konnte. Ich war überzeugt, dass das Bewusstsein ein kosmisches Phänomen ist, ein integraler Bestandteil der Existenz, und dass das Gehirn Bewusstsein vermittelt und nicht produziert.
Ich hatte keine Zweifel, dass meine Erfahrung denjenigen sehr ähnlich war, wie sie in den grossen mystischen Schriften beschrieben wurden. Auch wenn meine Psyche von den Auswirkungen des LSD beeinträchtigt war, konnte ich die Ironie und das Paradoxe der Situation erkennen. Das Göttliche manifestierte sich und überwältigte mich inmitten eines seriösen wissenschaftlichen Experiments, ausgelöst durch einen Stoff, den ein Schweizer Chemiker des 20. Jahrhunderts im Reagenzglas produziert hatte, in der psychiatrischen Klinik eines Landes, das von der Sowjetunion und einem marxistischen Regime dominiert wurde. Dieser Tag markierte den Beginn meiner radikalen Abkehr vom traditionellen Denken in der Psychiatrie und dem monistischen Materialismus der westlichen Wissenschaft.
Diese erste LSD-Erfahrung inspirierte mein lebenslanges Interesse an holotropen Zuständen. Die Forschung in diesem Bereich wurde für mich zur Leidenschaft, zum Beruf und zur Berufung. Seither widmete ich die meisten meiner klinischen und wissenschaftlichen Aktivitäten der systematischen Erforschung des therapeutischen, transformativen, heuristischen und evolutionären Potenzials holotrope Zustände. Das halbe Jahrhundert, in dem ich Bewusstseinsforschung betrieben habe, wurde für mich zum aussergewöhnlichen Forschungsabenteuer und zur Entdeckungsreise meiner Selbst.
Die ersten paar Jahrzehnte führte ich Psychotherapie mit psychedelischen Substanzen durch, zuerst am Psychiatrischen Forschungsinstitut in Prag, dann am Maryland Psychiatric Research Center in Baltimore, wo ich am letzten Programm psychedelischer Forschung in den USA teilgenommen habe. Seit 1975 arbeiten meine Frau Christina und ich mit dem Holotropen Atmen, einer effizienten Therapie- und Selbsterforschung-Methode, die wir gemeinsam am Esalen Institute im kalifornischen Big Sur entwickelt hatten. Im Laufe der Jahre haben wir auch viele Menschen unterstützt, die spontane Schübe holotroper Bewusstseinszustände erlebten – psychospirituelle Krisen oder «spirituelle Notfälle», wie Christina und ich sie nennen (Grof und Grof 1989, Grof und Grof 1991).
In der psychedelischen Therapie werden holotrope Zustände durch Verabreichung psychoaktiver Substanzen wie LSD, Psilocybin, Meskalin, und Tryptamin- oder Amphetamin-Derivate hervorgerufen. Bei der holotropen Atemarbeit wird das Bewusstsein durch eine Kombination aus beschleunigtem Atmen, aufrüttelnder Musik und Energie freisetzender Körperarbeit verändert. Bei «spirituellen Krisen» treten holotrope Zustände spontan auf, oft mitten im Alltag, und ihre Ursache ist meist unbekannt. Wenn sie richtig verstanden und unterstützt werden, haben diese Momente ein aussergewöhnliches heilendes, transformatives, heuristisches und sogar evolutionäres Potenzial.
Ich habe auch an vielen Disziplinen mitgewirkt, die mehr oder weniger direkt mit holotropen Bewusstseinszuständen verwandt sind. Ich habe mich immer wieder mit Anthropologen ausgetauscht, die indigene Kulturen studierten, und an heiligen Zeremonien von Stammeskulturen in verschiedenen Teilen der Welt teilgenommen, mit und ohne Einnahme psychedelischer Pflanzen wie Peyote, Ayahuasca und psilocybinhaltiger Pilze. Ich hatte auch intensiven Kontakt und war freundschaftlich verbunden mit nordamerikanischen, mexikanischen, südamerikanischen und afrikanischen Schamanen und Heilern, wie auch mit Vertretern verschiedener spiritueller Disziplinen, darunter Vipassana, Zen- und Vajrayana-Buddhismus, Siddha-Yoga, Tantra und des christlichen Benediktinerordens.
Mit grossem Interesse habe ich die Entwicklung der Thanatologie verfolgt, der jungen Disziplin, die Nahtod-Erfahrungen und die psychologischen und spirituellen Aspekte von Tod und Sterben erforscht. In den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren beteiligte ich mich an einem grossen Forschungsprojekt, bei dem die Wirkung der psychedelischen Therapie auf terminale Krebspatienten untersucht wurde. Ich habe das Privileg, einige der grossen Hellseher und Parapsychologen unserer Zeit persönlich zu kennen und konnte miterleben, wie auch im Labor tätige Pioniere der Bewusstseinsforschung und Therapeuten Formen einer erfahrungsorientierten Therapie entwickelt und praktiziert haben, die holotrope Bewusstseinszustände hervorrufen.
Meine erste Begegnung mit holotropen Zuständen war sehr schwierig und herausfordernd, sowohl intellektuell wie auch emotional. In den frühen Jahren meiner klinischen psychedelischen Forschung und derjenigen im Labor wurde ich täglich mit Erfahrungen und Beobachtungen konfrontiert, für die mich meine medizinische und psychiatrische Ausbildung nicht vorbereitet hatte. Tatsächlich erlebte und beobachtete ich Ereignisse, die gemäss meiner medizinischen Ausbildung und dem materialistischen wissenschaftlichen Weltbild im Prinzip unmöglich waren und nicht hätten passieren können. Und doch passierten solche vermeintlich unmöglichen Dinge immer wieder. Ich habe diese «anomalen Phänomene» in meinen Artikeln und Büchern beschrieben (Grof 2000, 2006).

Psychologie der Zukunft

In den späten 1990er-Jahren erhielt ich einen Anruf von Jane Bunker, meiner Lektorin bei der State University New York (SUNY) Press, die viele meiner Bücher veröffentlicht hatte. Sie fragte mich, ob ich Interesse hätte, ein Buch zu schreiben, das die Beobachtungen aus meiner Forschung in einem Band zusammenfassen würde und als Einleitung zu meinen bereits veröffentlichten Büchern dienen könnte. Jane fragte auch, ob ich mich speziell auf die Erfahrungen und Beobachtungen meiner Forschung konzentrieren könnte, die die zeitgenössischen wissenschaftlichen Theorien nicht zu erklären und deuten imstande waren. Sie wollte auch, dass ich die Überprüfung unseres Denkens darlegte, die notwendig wäre, um diese revolutionären Befunde zu erklären. Dies war eine grosse Herausforderung, aber auch eine grosse Chance. Mein 70. Geburtstag näherte sich und eine neue Generation praktizierte und lehrte Holotropes Atmen in verschiedenen Ländern der Welt. Wir brauchten ein Lehrbuch für diese Trainingsmodule, dies war ein Angebot, dieses nun zu verfassen.
Das Ergebnis dieses Austauschs war ein Buch mit dem absichtlich provokativen Titel Die Psychologie der Zukunft. Die radikalen Änderungen in unserem Verständnis von Bewusstsein und der menschlichen Psyche, von Gesundheit und Krankheit, die ich in dieser Arbeit vorgeschlagen habe, lassen sich in folgende Kategorien fassen:

1. Die Natur des Bewusstseins und ihre Beziehung zur Materie
2. Eine neue Kartografie der menschlichen Psyche
3. Strukturen emotionaler und psychosomatischer Störungen
4. Wirksame therapeutische Mechanismen
5. Strategien für Psychotherapie und Selbstentdeckung
6. Die Rolle der Spiritualität in unserem Leben
7. Die Bedeutung der archetypischen Astrologie für die Psychologie

Solange wir unser Denken in diesen Gebieten nicht ändern, wird unser Verständnis psychogener, emotionaler und psychosomatischer Erkrankungen und deren Therapie oberflächlich, unbefriedigend und unvollständig bleiben. Psychiatrie und Psychologie werden nicht in der Lage sein, die Natur der Spiritualität und den Ursprung der Religionen zu begreifen und die wichtige Rolle zu würdigen, die die Spiritualität in der menschlichen Psyche und in der universalen Ordnung spielt. Diese Überprüfungen sind daher unerlässlich für das Verständnis der rituellen, spirituellen und religiösen Geschichte der Menschheit – des Schamanismus, der Übergangsriten alter Stammeskulturen, der antiken Mysterien von Tod und Wiedergeburt und der grossen Religionen der Welt. Ohne dieses radikale neue Denken werden potenziell heilende und heuristisch wertvolle Erfahrungen («spirituelle Krisen») fälschlicherweise als psychotische Schübe eingestuft und durch suppressive Medikamente behandelt und abgeschwächt.
Eine grosse Anzahl an Erfahrungen und Beobachtungen aus der Erforschung holotroper Zustände werden rätselhaft bleiben. Sie werden als «anomale Phänomene» bezeichnet, als Erscheinungen, die gemäss den gegenwärtigen wissenschaftlichen Paradigmen nicht auftreten sollten. Psychiater werden es schwer haben, die Heilkraft der psychedelischen Substanzen zu verstehen und zu akzeptieren, da sie tiefe Erfahrungen vermitteln, die derzeit als psychotisch betrachtet werden – wie die Fachbegriffe zeigen, die in der Psychiatrie dafür verwendet werden: experimentelle Psychosen, Psychotomimetika oder Halluzinogene. Hier spiegelt sich die Unfähigkeit wider, die wahre Natur der holotropen Erfahrungen als authentischen Ausdruck der tiefen Dynamik der Psyche zu erkennen.
Im Hinblick auf meinen eigenen anfänglichen Widerstand gegen die verwirrenden Erfahrungen und Beobachtungen aus der Erforschung holotroper Zustände sowie der Phänomene, die mit ihnen verbunden sind (wie z.B. erstaunliche Synchronizitäten), überrascht mich dennoch nicht, wenn meine Vorschläge auf grossen Widerstand in der akademischen Gemeinschaft stossen. Dies ist verständlich, wenn man die Reichweite und radikale Art der erforderlichen konzeptionellen Änderungen in Betracht zieht. Viele herkömmlich agierende Forscher und Therapeuten neigen dazu, «Karte und Gebiet» zu verwechseln und sehen offizielle Theorien über das Bewusstsein und die menschliche Psyche im Hinblick auf Gesundheit und Krankheit als eine genaue Beschreibung der Realität an (Bateson 1972).
Wir reden hier aber nicht über kleine, unbedeutende Veränderungen, also Flickwerk, ad hoc Hypothesen, sondern über eine grundlegende Überprüfung. Die daraus resultierende konzeptionelle Umwälzung scheint mir in seiner Art und seinem Umfang mit jener Revolution vergleichbar zu sein, die die Physiker in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erlebten, als sie sich gezwungenermassen von der Newtonschen zur quanten-relativistischen Physik hin orientierten. In der Tat würden die konzeptuellen Veränderungen, die ich vorschlage, eine logische Ergänzung darstellen zu jenen radikalen Veränderungen in unserem Verständnis der materiellen Welt, wie sie bereits in der Physik stattgefunden hat.
Die Geschichte der Wissenschaft ist reich an Beispielen von Personen, die das vorherrschende Paradigma in Frage gestellt haben. Typischerweise wurden ihre Ideen zuerst als Produkte von Unwissenheit, schlechtem Urteilsvermögen, unprofessioneller Forschung, Betrug oder sogar Wahnsinn abqualifiziert. Ich befinde mich jetzt im neunten Jahrzehnt meines Lebens, in einem Alter, in dem viele Forscher oft versuchen, ihre berufliche Karriere Revue passieren zu lassen und Schlüsse über das Erreichte zu ziehen. Während mehr als einem halben Jahrhundert Erforschung holotroper Bewusstseinszustände – meiner eigenen, wie auch vieler meiner transpersonal-orientierten Kollegen – haben sich viele evidenzgestützte Daten für ein radikal neues Verständnis des Bewusstseins und der menschlichen Psyche angesammelt. Das hat mich ermutigt, diese neue Vision in ihrer Gesamtheit zu beschreiben, vollkommen bewusst ihrer kontroversen Natur und ihrer Brisanz. Die Tatsache, dass die neuen Erkenntnisse die grundlegendsten metaphysischen Annahmen der materialistischen Wissenschaft herausfordern, sollte kein ausreichender Grund für ihre Ablehnung sein. Ob meine Vision letztlich widerlegt oder akzeptiert wird, sollte durch unvoreingenommene zukünftige Forschung holotroper Zustände bestimmt werden.

1. Die Natur des Bewusstseins und ihre Beziehung zur Materie 

Gemäss dem derzeitigen wissenschaftlichen Weltbild ist das Bewusstsein ein Epiphänomen materieller Prozesse; es entsteht angeblich aus der Komplexität der neurophysiologischen Vorgänge im Gehirn. Diese These wird mit grosser Entschiedenheit als eine offensichtliche Tatsache präsentiert, die ohne jeden Zweifel bewiesen wurde. Aber bei genauerem Hinsehen entdecken wir, dass es eine grundlegende metaphysische Annahme ist, die nicht durch Fakten untermauert ist und tatsächlich im Widerspruch zu den Erkenntnissen der modernen Bewusstseinsforschung steht.
Es gibt eine grosse Anzahl klinischer und experimenteller Beweise, die die vielfältigen Korrelationen zwischen der Anatomie, Physiologie und Biochemie des Gehirns und den Bewusstseinszuständen zeigen. Jedoch keiner dieser Befunde beweist eindeutig, dass Bewusstsein tatsächlich im Gehirn seinen Ursprung hat, also vom Gehirn erzeugt wird. Auch anspruchsvolle Theorien, die auf differenzierter Erforschung des Gehirns basieren – wie Stuart Hameroffs Vorschlag, dass in Zukunft die Lösung des Ursprungs des Bewusstseins von dem Verständnis der Quanten-Prozesse in den Mikrotubuli der Gehirnzellen auf der molekularen und supramolekularen Ebene zu finden sein wird (Hameroff 1987) – sind nicht in der Lage die enorme Kluft zwischen Materie und Bewusstsein zu überbrücken und zu erklären wie materielle Prozesse das Bewusstsein erzeugen könnten.
Die zeitgenössische wissenschaftliche Gemeinschaft sieht den Ursprung des Bewusstseins aus Materie als eine offensichtliche, selbstverständliche und solide bewiesene Tatsache an. In der Tat ist es aber nicht mehr als die metaphysische Prämisse eines monistischen Materialismus – der dominanten Philosophie der industriellen Gesellschaft – was die Priorität der Materie im Universum betrifft. In der gesamten Geschichte der Wissenschaft hat noch niemand eine plausible Erklärung angeboten, wie materielle Prozesse das Bewusstsein hervorbringen könnten oder zumindest eine tragfähige Hypothese formuliert. Nehmen wir zum Beispiel das Buch von Francis Crick, Die erstaunliche Hypothese: die wissenschaftliche Suche nach der Seele(Crick 1994). Das Cover des Buches verhiess etwas sehr Spannendes: «Nobelpreisträger erklärt das Bewusstsein».
Cricks «erstaunliche Hypothese» wurde kurz und bündig auf den ersten Seiten des Buches zusammengefasst: «Du, deine Freude und Leiden, deine Erinnerungen und deine Ambitionen, dein Sinn für persönliche Identität und deinen freien Willen, sind in der Tat nicht mehr als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen in deinem Gehirn und den damit verbundenen Molekülen. Wer du bist, ist nichts anderes als ein Bündel von Neuronen.» Am Anfang des Buches – «um das Problem des Bewusstseins zu vereinfachen» –, begrenzt Crick den Brennpunkt seiner Aufmerksamkeit auf den Vorgang der optischen Wahrnehmung. Er präsentiert beeindruckende experimentelle Beweise dafür, dass die visuelle Wahrnehmung mit den verschiedenen physiologischen, biochemischen, und elektrischen Prozessen im optischen System verbunden ist – von der Netzhaut durch den optischen Trakt zur subokzipitalen Hirnrinde. Dort endet auch schon die Diskussion, als ob das Problem des Ursprungs des Bewusstseins zufriedenstellend gelöst worden sei.
In Wirklichkeit sind war da, wo das Problem beginnt. Was genau ist es, das die biochemischen und elektrischen Prozesse im Gehirn in eine bewusste Erfahrung einer angemessenen Nachbildung des Objekts, das wir beobachten, umzuwandeln vermag, in Farbe, und es in den dreidimensionalen Raum projiziert? Das enorme Problem der Beziehung zwischen Phänomena – den Dingen, wie sie uns erscheinen – und der Noumena – den Dingen, wie sie wirklich sind (Dinge an sich), wurde vom deutschen Philosophen Immanuel Kant (Kant 1999) deutlich artikuliert. Wissenschaftler konzentrieren ihre Bemühungen oft auf den Aspekt des Problems, wo sie Antworten zu finden glauben, also auf die materiellen Prozesse im Gehirn. Das viel rätselhaftere und mysteriösere Problem – wie die materiellen Prozesse im Gehirn Bewusstsein erzeugen können – erhält hingegen keine Aufmerksamkeit, weil man es nicht versteht und nicht lösen kann.
Gemäss Gregory Bateson, einem der originellsten Denker des 20. Jahrhunderts – einem Generalisten, der in seiner Arbeit Anthropologie, Psychologie, Genetik und Kybernetik miteinander in Verbindung brachte –, wetten die Psychiater und Psychologen auf das falsche Pferd, wenn sie das Rätsel des Bewusstseins durch das Studium des Gehirns zu lösen versuchen. Der Schlüssel zum Verständnis unseres Bewusstseins ist Information, nicht das System, das sie überträgt. Solche Bemühungen kann man mit Versuchen vergleichen, die Funktionsweise eines Telefongesprächs verstehen zu wollen, indem man alles über die Drähte in Erfahrung bringt, die diese Information tragen.
Die Einstellung der westlichen Wissenschaft zu diesem Problem ähnelt dem Benehmen des weisen Narren Mulla Nasruddin in der berühmten Sufi-Geschichte. In einer dunklen Nacht kriecht Mulla Nasrudin, auf seinen Knien unter einer Strassenlaterne herum. Sein Nachbar sieht ihn und fragt: «Nasruddin, was machst du? Suchst du etwas. Hast du was verloren?» Nasruddin antwortet, dass er seinen verlorenen Schlüssel sucht und der Nachbar bietet ihm seine Hilfe an. Nach einiger Zeit erfolgloser gemeinsamer Anstrengung wird der Nachbar unsicher und fragt: «Ich sehe nichts. Bist du sicher, dass du deinen Schlüssel hier verloren hast?» Nasruddin schüttelt den Kopf und zeigt mit dem Finger auf den dunklen Bereich ausserhalb des von der Lampe beleuchteten Kreises und antwortet: «Nein, nicht hier, dort drüben!» Der Nachbar kann nicht glauben, was er hört, und fragt weiter: «Aber warum suchen wir ihn dann hier und nicht dort?» Nasruddin erklärt: «Hier ist Licht und wir können sehen; dort drüben ist es dunkel, und wir hätten keine Chance.»
Auf die gleiche Weise sind materialistische Wissenschaftler systematisch dem Problem der Entstehung des Bewusstseins ausgewichen, weil dieses Rätsel im Rahmen des vorherrschenden Paradigmas nicht gelöst werden kann. Die Vorstellung, dass das Bewusstsein ein Produkt des Gehirns sei, ist natürlich nicht völlig willkürlich entstanden. Ihre Befürworter beziehen sich auf eine grosse Anzahl spezifischer klinischer Beobachtungen aus der Neurologie, Neurochirurgie und der experimentellen Psychiatrie.
Die Beweise für die enge Wechselwirkung zwischen der Anatomie, Neurophysiologie und der Biochemie des Gehirns und dem Bewusstsein sind unbestreitbar und überwältigend. Problematisch ist nicht die Art der vorgelegten Nachweise, sondern die Schlussfolgerungen, die aus diesen Beobachtungen gezogen werden. In der formalen Logik wird diese Art von Fehlschluss non sequitur genannt –, eine Argumentation deren Schlussfolgerung nicht den Voraussetzungen der Beweisführung folgt. Während die experimentellen Daten deutlich zeigen, dass das Bewusstsein mit den neurophysiologischen und biochemischen Prozessen im Gehirn eng verbunden ist, haben sie wenig Relevanz, was die Beschaffenheit und den Ursprung des Bewusstseins betrifft.
Eine einfache Analogie ist die Beziehung zwischen einem Fernsehgerät und dem Fernsehprogramm. Der Empfang des Programms – die Qualität des Bildes und des Tons – hängt vom reibungslosen Funktionieren des Geräts und seiner Bestandteile ab. Störungen verursachen eindeutige und spezifische Veränderungen der Qualität des Programms. Manche führen zu Verzerrungen von Form, Farbe oder Ton, andere zur Interferenz zwischen den Kanälen usw. Wie der Neurologe, der Veränderungen des Bewusstseins als Merkmale für die Diagnose benutzt, kann ein Fernsehtechniker von der Art der Anomalien schliessen, welche Funktionen und welche Komponenten des Geräts defekt sind. Wenn das Problem erkannt ist, können Reparatur oder Ersatz dieser defekten Teile die Verzerrungen korrigieren.
Da wir die grundlegenden Prinzipien der Fernsehtechnologie kennen, wissen wir, dass das Fernsehgerät das Programm vermittelt und dass es nicht seine Quelle ist. Wir würden lachen, wenn jemand versuchen würde, alle Transistoren, Relais, Schaltkreise, und Kabel des Fernsehers zu untersuchen, um herauszufinden, wie sie die Programme generieren. Selbst wenn wir diese fehlgeleiteten törichten Anstrengungen auf eine molekulare, atomare, oder subatomare Ebene lenken, würden wir trotzdem nicht erfahren, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Micky Maus Trickfilm, eine Star Trek Sequenz, das Playboy-Programm oder ein klassischer Hollywood-Streifen auf dem Bildschirm erscheinen. Der enge Zusammenhang zwischen dem Funktionieren des Fernsehgeräts und der Qualität des Programms bedeutet jedoch nicht, dass das Geheimnis des Programms im Apparat selbst zu entdecken ist. Doch dies ist genau die Art von Schlussfolgerung, die die traditionelle materialistische Wissenschaft von vergleichbaren Daten über das Gehirn und seine Beziehung zum Bewusstsein zieht.
Bewiesen ist vielmehr das genaue Gegenteil, nämlich dass unter bestimmten Umständen das Bewusstsein unabhängig vom Gehirn funktionieren kann und dass es imstande ist, Leistungen zu erbringen, die die Fähigkeiten des Gehirns bei weitem übersteigen. Am deutlichsten wird dies durch ausserkörperliche Erfahrungen (AKE) demonstriert, die spontan oder in unterschiedlichen Situationen auftreten können, wie z.B. in schamanischen Trancezuständen, während psychedelischen Sitzungen, bei spirituellen Praktiken, bei Hypnose, erfahrungsorientierter Psychotherapie und besonders bei Nahtod-Erfahrungen (NTE).
In all diesen Situationen kann sich das Bewusstsein vom Körper trennen, seine sensorischen Fähigkeiten beibehalten, und sich frei zu verschiedenen nahen und entfernten Standorten bewegen. Verifizierbare AKE sind besonders interessant, weil eine unabhängige Überprüfung die Wahrnehmung der Umgebung bestätigt. In Nahtod-Situationen können beweisbare AKE auch bei Menschen auftreten, die seit ihrer Geburt aus organischen Gründen blind sind (Ring und Cooper 1999, Ring und Valarino 1998). Viele andere Formen von transpersonalen Phänomenen können genaue Informationen über verschiedene Aspekte des Universums vermitteln, die die betreffenden Personen zuvor nicht gesehen und im Gehirn abgespeichert haben (Grof 2000).
Die materialistischen Wissenschaftler sind nicht imstande, überzeugend zu beweisen, dass das Bewusstsein ein Produkt neurophysiologischer Prozesse im Gehirn ist. Sie können diese Behauptung nur aufrechterhalten, weil sie viele Beobachtungen ignorieren, falsch interpretieren oder sogar verhöhnen, die darauf hinweisen, dass Bewusstsein unabhängig vom Körper und von den physischen Sinnen existieren und funktionieren kann. Die LSD-Forschung, die erfahrungsorientierte Psychotherapie, die Thanatologie, die Parapsychologie, Feldanthropologie und die Arbeit mit spontan auftretenden holotropen Bewusstseinszuständen (spirituellen Krisen) haben dies hinlänglich bewiesen. Alle diese Disziplinen liefern Daten, die deutlich zeigen, dass das menschliche Bewusstsein zu vielen Leistungen fähig ist, die das Gehirn – wie es von materialistischen Wissenschaftlern verstanden wird – nicht erzielen kann. Im Licht dieser Befunde scheint das Bewusstsein ein primärer und weiter nicht reduzierbarer Aspekt der Existenz zu sein – ein Prinzip, das der Materie ebenbürtig oder möglicherweise übergeordnet ist.

2. Eine neue Kartografie der menschlichen Psyche

Die traditionelle Psychiatrie und Psychologie bedient sich eines Modells der menschlichen Psyche, das auf die postnatale Biografie und das Freudsche individuelle Unbewusste beschränkt ist. Nach Freud beginnt unsere psychologische Geschichte nach der Geburt; das neugeborene Kind ist eine tabula rasa, ein unbeschriebenes Blatt. Unsere Psyche wird durch ein Wechselspiel zwischen biologischen Instinkten und Einflüssen bestimmt, die unser Leben prägen seit wir auf die Welt gekommen sind – die Qualität des Stillens und der mütterlichen Pflege, die Erziehung zur Sauberkeit, verschiedene psychosexuelle Traumata, die Entwicklung des Superegos, unsere Reaktion auf die Ödipus- und Elektra-Thematik sowie Konflikte und traumatische Ereignisse im späteren Leben. Gemäss dieser Betrachtungsweise bestimmt unsere postnatale persönliche und zwischenmenschliche Geschichte wer wir sind und wie wir psychologisch funktionieren.
Das Freudsche individuelle Unbewusste ist also im wesentlichen ein Derivat unserer postnatalen Geschichte – ein Depot all dessen, was wir vergessen, als unannehmbar verdrängt und abgelehnt haben. Diese Unterwelt der Psyche (das Es, wie Freud sie nannte), ist ein Reich, das von primitiven Triebkräften dominiert ist. Um die Beziehung zwischen der bewussten Psyche und dem Unbewussten zu beschreiben benutzte Freud sein berühmtes Bild des versunkenen Eisbergs. Was man in diesem Gleichnis für die Gesamtheit der Psyche hielt, war nur ein kleiner Teil davon, wie die Spitze des Eisbergs, der aus dem Wasser ragt. Die Psychoanalyse machte die Entdeckung, dass ein viel grösserer Teil der Psyche, vergleichbar mit dem Teil des Eisbergs unter der Wasseroberfläche, unbewusst ist und unbemerkt von uns, unsere Denkprozesse und Verhaltensweisen beherrscht.
Spätere Beiträge zur dynamischen Psychotherapie haben zu den ätiologischen Faktoren Probleme in der Entwicklung der Objekt-Beziehungen und in der zwischenmenschlichen Dynamik in der Kernfamilie hinzugefügt. Diesen Theorien und der Freudschen Psychoanalyse gemeinsam ist die ausschliessliche Konzentration auf das postnatale Leben (Blanck und Blanck 1974, 1979, Sullivan 1953, Satir 1983, Bateson et al. 1956). Aber die auf die postnatale Biografie beschränkten Modelle erweisen sich als schmerzhaft unzureichend, wenn wir mit holotropen Bewusstseinszuständen arbeiten, mit oder ohne psychedelische Substanzen. Um alle Phänomene zu erfassen, die in diesen Zuständen auftreten, müssen wir unser Verständnis der Dimensionen der menschlichen Psyche drastisch revidieren. Neben der postnatalen biografischen Ebene, die sie mit der traditionellen Psychologie teilt, umfasst die erweiterte Kartographie zwei zusätzliche umfangreiche Bereiche.
Den ersten Bereich können wir als «perinatal» bezeichnen, wegen seiner engen Verbindung mit dem Trauma der biologischen Geburt. Diese Region des Unbewussten enthält die Erinnerungen an all das, was der Fötus in den aufeinanderfolgenden Stufen der Geburt erlebte, einschliesslich aller Emotionen und körperlichen Empfindungen. Diese Erinnerungen bilden vier verschiedene Erfahrungsbündel, von denen jedes sich auf eine der Stufen der Geburt bezieht. Ich habe für sie den Begriff basale perinatale Matrizen (BPM I-IV) geprägt.
BPM I besteht aus Erinnerungen an den fortgeschrittenen pränatalen Zustand unmittelbar vor der Entbindung. BPM II bezieht sich auf die erste Stufe des Geburtsvorganges, wenn die Gebärmutter kontrahiert, aber der Muttermund noch nicht geöffnet ist. BPM III widerspiegelt den Kampf, geboren zu werden, nachdem sich der Gebärmutterhals dilatiert. Und BPM IV enthält die Erinnerung an das Eintreten in die Welt, die Geburt selbst. Der Inhalt dieser Matrizen ist nicht auf fötale Erinnerungen beschränkt; jeder von ihnen repräsentiert auch eine selektive Öffnung in die Bereiche des historischen und archetypischen kollektiven Unbewussten, die Motive ähnlicher Erfahrungsqualitäten enthalten. Detaillierte Beschreibung der Phänomenologie und Dynamik der perinatalen Matrizen können in meinen verschiedenen Publikationen gefunden werden (Grof 1975, 2000).
Die offizielle Position der schulmedizinisch ausgerichteten Psychiatrie ist, dass die biologische Geburt nicht im Gedächtnis aufgezeichnet ist und dass sie kein Psychotrauma darstellt. Der übliche Grund für den Ausschluss der Möglichkeit einer Erinnerung an die Geburt ist, dass die Hirnrinde des Neugeborenen nicht reif genug ist, um das Erleben und die Aufnahme dieses Ereignisses zu vermitteln. Genauer gesagt, die kortikalen Neuronen sind noch nicht «myelinisiert» – vollständig mit einer Biomembran aus einer fetthaltigen Substanz namens Myelin bedeckt. Seltsamerweise findet das gleiche Argument keine Anwendung, wenn es um die Existenz und die Bedeutung von Erinnerungen aus der Zeit des Stillens geht, eines Zeitraums, der unmittelbar der Geburt folgt. Die psychologische Bedeutung der Erfahrungen in der oralen Phase und sogar Erlebnisse der Bindung – des Austausches von Blicken und des physischen Kontakts zwischen Mutter und Kind unmittelbar nach der Geburt – ist allgemein anerkannt von Geburtshelfern, Kinderärzten, und Kinderpsychologen (Klaus, Kennel und Klaus 1995, Kennel und Klaus 1998).
Das Myelinisierungsargument macht keinen Sinn und widerspricht verschiedener evidenzbasierter Daten. Es wurde zum Beispiel festgestellt, dass Gedächtnis in Organismen existiert, die keine Gehirnhirnrinde oder kein Gehirn haben. Im Jahr 2001 erhielt der amerikanische Neurowissenschaftler österreichischer Herkunft, Erik Kandel, den Nobelpreis für seine Forschung der Gedächtnismechanismen der Meeresschnecke Aplysia, eines Organismus, der unvergleichbar primitiver ist als das neugeborene Kind. Die Behauptung, dass der Fötus sich der Geburt nicht bewusst und nicht in der Lage ist, die Erinnerung an dieses Ereignis zu bilden, steht in Konflikt mit den Studien, die zeigen, dass der Fötus schon in der pränatalen Phase sehr empfindlich ist (Tomatis 1991, Whitwell 1999, Mond, Lagercrantz und Kuhl 2010). Die wahrscheinlichste Erklärung dieser auffallenden logischen Widersprüchlichkeit im Denken jener Wissenschaftler liegt in der Verdrängung und innerem Widerstand gegenüber der erschreckenden Erinnerung an die biologische Geburt.
Den zweiten transbiografischen Bereich der neuen Kartografie kann man als «transpersonal» bezeichnen, weil sie eine reiche Palette an Erfahrungen umfasst, in denen das Bewusstsein die Grenzen des Körper/Egos und die üblichen Einschränkungen der linearen Zeit und des dreidimensionalen Raums transzendiert. Dies führt zu erfahrungsorientierter Identifikation mit anderen Menschen, Gruppen von Menschen, anderen Lebewesen und sogar Elementen der anorganischen Welt. Transzendenz der Zeit vermittelt Erfahrungen von Abstammung, Rasse, von kollektiven, phylogenetischen und karmischen Erinnerungen. Eine andere Kategorie der transpersonalen Erfahrungen enthält mythologische Figuren, Bereiche, und Themen. Der Schweizer Psychiater C. G. Jung hat diese Kategorie archetypisch genannt. Dieser Bereich ist besonders interessant, weil er mythologische Motive aller Kulturen und Zeiten umfasst, auch diejenigen, von denen wir vorher kein intellektuelles Wissen hatten (Jung 1959).
In seiner ganzen Reichweite kann sich das individuelle Bewusstsein mit der Weltseele (Anima mundi), dem kosmischem Bewusstsein, dem schöpferischen Prinzip des Universums identifizieren. Die wahrscheinlich tiefste Erfahrung in holotropen Zuständen ist die Identifikation mit dem suprakosmischen und metakosmischen Nichts, der Urleere (Akasha), die sich ihrer selbst bewusst ist. Das Nichts hat eine paradoxe Beschaffenheit; es ist ein Vakuum in dem Sinne, dass sie es bar jeglicher konkreter Formen ist, aber auch ein Plenum, da es die ganze Schöpfung in einer potenziellen Form zu enthalten scheint.
Die Existenz und die Beschaffenheit transpersonaler Erfahrungen unterlaufen so manche Prämissen der materialistischen Wissenschaft. Sie implizieren scheinbar absurde Realitäten und Phänomene wie die Relativität aller physikalischen Grenzen, nonlokale Verbindungen im Universum, Kommunikation durch unbekannte Mittel und Kanäle, Gedächtnis ohne materielles Substrat, Nonlinearität der Zeit oder das Bewusstsein, mit allen lebenden Organismen und sogar anorganischer Materie verbunden zu sein. Viele transpersonale Erfahrungen beinhalten Ereignisse aus dem Mikrokosmos und Makrokosmos, Bereiche, die normalerweise die menschlichen Sinnesorgane ohne spezifische Geräte nicht erreichen können oder von historischen Epochen, wie dem Ursprung des Sonnensystems, der Bildung des Planeten Erde, dem Erscheinen von lebenden Organismen, der Entwicklung des Nervensystems und der Entstehung des Homo sapiens.
Forscher und Therapeuten mit einer monistisch materialistischen Weltanschauung haben keine andere Wahl, als die Existenz und Authentizität transpersonaler Erfahrungen zu leugnen oder sie in die Kategorie der «anomalen Phänomene» zu verbannen. Es sind jedoch ernsthafte Versuche unternommen worden, diese Phänomene in ein wissenschaftliches Rahmenkonzept einzubinden und sie in ein revolutionäres neues Weltbild zu integrieren. In einer intellektuellen tour de force und einer Reihe von Büchern, hat der international bekannte Systemtheoretiker, interdisziplinäre Wissenschaftler und Philosoph Ervin Laszlo, ein breites Spektrum von Disziplinen erforscht, darunter Astrophysik, quanten-relativistische Physik, Biologie und transpersonale Psychologie (Laszlo 1993, 1999, 2003, 2004a, 2004b). Er beschreibt eine Palette paradoxer Beobachtungen und Phänomene, für die diese Disziplinen keine Erklärungen haben. Auf der Basis modernster Wissenschaften des 20. Jahrhunderts hat er eine brillante Lösung für die Anomalien und Paradoxa angeboten, die bis dahin rätselhaft erschienen: die Konnektivitätshypothese. Diese stützt sich hauptsächlich auf das Konzept eines Feldes, das er «Psi-Feld» nannte und neuerdings in «Akasha-Feld» umbenannt hatte (Laszlo 2003, 2004b).
Laszlo beschreibt das Akasha-Feld als ein Subquantum-Feld, das die Quelle aller Schöpfung ist und eine holografische Aufzeichnung aller Ereignisse enthält, die in der Erscheinungswelt passieren. Er setzt dieses Feld mit dem Konzept des «Quantum-Vakuum» (oder besser «Quantum-Plenum») gleich, das der modernen Physik entstammt (Laszlo 2003, 2004ab). Laszlos Konnektivitätshypothese bietet eine wissenschaftliche Erklärung für ansonsten geheimnisvolle transpersonale Erfahrungen, wie die Identifikation mit anderen Menschen, mit anderen Lebewesen oder mit Menschengruppen, die Möglichkeit, sich selbst in verschiedenen historischen Epochen und Ländern zu erleben, inklusive Erinnerungen an frühere Leben, Telepathie, Fernwahrnehmung und andere übersinnliche Fähigkeiten, ausserkörperliche Erfahrungen, Astralprojektion, Erfahrung der suprakosmischen und metakosmischen Leere, usw.
Ein weiterer konzeptueller Bezugsrahmen, um die vielen rätselhaften Eigenschaften transpersonaler Erfahrungen zu erklären ist die Prozessphilosophie des englischen Mathematikers, Logikers und Philosophen Alfred North Whitehead (Whitehead 1978). Whiteheads metaphysisches System ist von besonderem Interesse, weil es nicht von einem grundlegenden metaphysischen Status der Materie ausgeht, sondern den zentralen Fokus auf die Erfahrung oder den Geist legt. Die Prozessphilosophie geht davon aus, dass das Grundelement des Universums nicht aus einer dauerhaften Substanz besteht, sondern ein Moment der Erfahrung, das in seiner Terminologie «aktuelle Gelegenheit» (actual occasion) genannt wird. Das Universum besteht aus unzähligen diskontinuierlichen Ausbrüchen von Erfahrungsaktivitäten auf allen Ebenen der Realität, von subatomaren Teilchen bis hin zur menschlichen Seele. Die Bedeutung von Whiteheads Philosophie für die transpersonale Psychologie und Bewusstseinsforschung wurde in den Schriften von John Buchanan, David Ray Griffin, John Quiring, Leonard Gibson, und Grant Maxwell dargelegt (Buchanan 1994, 2001, 2002 und 2005, Griffin 1989 und 1996, Quiring 1996, Gibson 1998, 2006, 2010 und Maxwell 2011).
Nachdem ich mehr als ein halbes Jahrhundert lang holotrope Bewusstseinszustände erforscht habe, zweifle ich nicht mehr daran, dass es viele transpersonale Erfahrungen gibt, die ontologisch real sind und nicht Produkt metaphysischer Spekulation, individueller Phantasie oder pathologischer Prozesse im Gehirn. Mit dem Begriff «ontologisch real» meine ich eine Kategorie von Erfahrungen, die nicht nur eine subjektive Qualität der Wirklichkeitserfahrung besitzen, sondern auch etwas von der Beschaffenheit oder den wesentlichen Eigenschaften des Seins oder der Existenz zu offenbaren scheinen. Es wäre falsch, alle transpersonalen Erfahrungen als Produkte der Phantasie, primitiven Aberglaubens oder psychischer Krankheit zu verwerfen, wie es so oft getan wurde.
Wer dies versucht zu tun, müsste eine plausible Erklärung dafür bieten, warum solche Erfahrungen immer wieder von Menschen verschiedener Rassen, Kulturen und historischen Epochen gleichermassen beschrieben wurden. Er müsste auch erläutern, warum diese Erfahrungen in der modernen Bevölkerung unter so unterschiedlichen Bedingungen auftreten, wie in Sitzungen mit verschiedenen psychedelischen Substanzen, während erfahrungsorientierter Psychotherapien, bei systematisch angewandter spiritueller Praxis, bei Nahtod-Erfahrungen und im Laufe spontaner Episoden psychospiritueller Krisen. Interessierte Leser finden eine detaillierte Fachdiskussion zur Transpersonalität, einschliesslich Beschreibungen und Beispiele verschiedener Arten solcher Erfahrungen in meinen Publikationen (Grof 1975, 1987 und 2000).
Angesichts dieses erheblich erweiterten Modells der Psyche, könnten wir jetzt Freuds Metapher von der Psyche als einen Eisberg umschreiben. Wir könnten sagen, dass alles, was die Freudsche Psychoanalyse über die menschliche Psyche entdeckt hat, nur die Spitze des Eisbergs darstellt, die aus dem Wasser ragt. Die Erforschung der holotropen Zustände hat es ermöglicht, den riesigen untergetauchten Teil des Eisbergs ans Licht zu bringen, was Freud und seinen Nachfolgern nicht gelang, mit Ausnahme der Renegaten Otto Rank und C. G. Jung. Der berühmte amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell, der für seinen scharfen irländischen Humor bekannt war, benutzte eine andere Metapher: «Freud fischte, während er auf einem Wal sass.»

3. Strukturen emotionaler und psychosomatischer Störungen

Um verschiedene emotionale und psychosomatische Störungen, die keinen organischen Ursprung haben («psychogene Psychopathologie») zu erklären, verwenden Psychiater, wie schon mehrfach dargelegt, oft ein oberflächliches Modell der Psyche, das auf die postnatale Biografie und das individuelle Unbewusste beschränkt ist. Diesem Modell entsprechend haben diese Störungen ihren Ursprung in der frühen oder späteren Kindheit und sind durch verschiedene emotionale Traumata und durch eine bestimmte psychische Dynamik in der Herkunftsfamilie verursacht. Es scheint allgemeine Übereinstimmung unter den Schulen der dynamischen Psychotherapie zu bestehen, dass Form, Tiefe und Ernsthaftigkeit dieser Störungen vom Zeitpunkt der ursprünglichen Traumatisierung abhängen.
So ist gemäss der klassischen Psychoanalyse der Ursprung der Schizophrenie, des Alkoholismus, und narkotischer Drogensucht in der passiven oralen Phase der libidinösen Entwicklung zu finden und der Ursprung manisch-depressiver Störungen in der aktiven oralen Phase (nach dem Wachsen der Zähne). Zwanghafte (obsessiv-kompulsive) Pychoneurosen haben ihre Fixierung in der analen Phase, Phobien und Konversionshysterien sind durch Psychotraumata in der phallischen Phase verursacht worden, zum Zeitpunkt des Ödipus- und Elektra-Komplexes, und so weiter (Fenichel 1945). Spätere Entwicklungen in der Psychoanalyse haben einige tiefliegende Störungen – autistische und symbiotische infantile Psychosen, Narzissmus und Borderlinestörungen – mit Störungen in der frühen Entwicklungsstufe der Objekt-Beziehungen verbunden (Blanck und Blanck 1974 und 1979). Wie ich bereits erwähnt habe, gilt dies nicht für Therapeuten aus der Schule von Otto Rank und C. G. Jung, diese siedeln die Wurzeln der emotionalen Störungen tiefer in der Psyche an.
Diese Annahmen basieren auf Beobachtungen von Therapeuten, die vor allem verbal arbeiten. Das Verständnis psychogener Störungen ändert sich radikal, wenn wir mit holotropen Bewusstseinszuständen arbeiten, die Ebenen des Unbewussten erreichen, die in der Regel für Gesprächstherapie unzugänglich sind. In der Anfangsphase entdecken wir dann typischerweise relevantes traumatisches Material aus der Kindheit, das in bedeutungsvoller Verbindung mit den bestehenden emotionalen und psychosomatischen Problemen steht und ihre Quelle zu sein scheint. Aber wenn wir den Prozess der Offenlegung fortsetzen, finden wir zusätzliche Wurzeln derselben Probleme in tieferen Schichten des Unbewussten – auf der perinatalen und transpersonalen Ebene der Psyche.
Verschiedene Formen der Arbeit mit holotropen Zuständen – psychedelische Therapie, holotropes Atmen, Rebirthing und Primärtherapie oder Psychotherapie mit Individuen, die spontane psychospirituelle Krisen erfahren – haben gezeigt, dass emotionale und psychosomatische Probleme nicht bloss als Folgen ausschliesslich postnataler psychotraumatischer Ereignisse erklärt werden können. Meine eigenen Beobachtungen haben gezeigt, dass das damit verbundene unbewusste Material typischerweise mehrstufige dynamische Konstellationen bildet, für die ich den Terminus «Systeme kondensierter Erfahrung» oder «COEX-Systeme» geprägt habe (Grof 1975, 2000).
Ein typisches COEX-System besteht aus vielen Schichten unbewusster Erinnerungen und Erfahrungen, die mit ähnlichen Gefühlen oder körperlichen Empfindungen verbunden sind; die Bestandteile eines COEX-Systems entstammen verschiedenen Ebenen der Psyche. Die oberflächlichen und leichter zugänglichen Schichten enthalten Erinnerungen an emotionale oder körperliche Traumata aus dem Säuglings-Alter, der Kindheit, der Jugend und aus dem späteren Leben. Auf einer tieferen Ebene ist jedes COEX System typischerweise mit einem gewissen Aspekt oder einer Phase der Geburt verbunden – einer spezifischen basalen perinatalen Matrize (BPM). Die Wahl dieser Matrize hängt von der Art der Emotionen und körperlichen Gefühle ab, die für dieses System charakteristisch sind. Wenn das Thema des COEX-Systems zum Beispiel die Opferrolle ist, ist es BPM II; wenn es sich um einen Kampf gegen einen mächtigen Gegner oder um sexuellen Missbrauch handelt, besteht eine Verbindung mit BPM III. Für ein positives COEX mit Erinnerungen an zutiefst befriedigende und erfüllende Situationen, wäre es BPM I oder BPM IV, und so weiter.
Die tiefsten Wurzeln der COEX-Systeme, die den emotionalen und psychosomatischen Störungen zugrunde liegen, reichen in den transpersonalen Bereich der Psyche. Sie haben die Form angestammter rassischer, kollektiver, karmischer und phylogenetischer Erinnerungen und verschiedener archetypischer Motive. So kann zum Beispiel therapeutische Arbeit bei Wut und Neigung zu Gewalt zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erlebnismässiger Identifikation mit einem Tiger oder einem schwarzen Panther führen. Die tiefste Wurzel einer schweren Form asozialen Verhaltens kann ein dämonischer Archetyp sein, während die endgültige Auflösung einer Phobie dem Wiedererleben und der Integration einer karmischen Erinnerung folgen kann, und so weiter.
Die Struktur der COEX-Systeme und ihre Beziehung zur Psychopathologie kann am besten mit einem klinischen Beispiel illustriert werden. Ein Mensch, der unter psychogenem Asthma leidet, könnte in aufeinander folgenden Sitzungen holotropen Atmens ein starkes COEX-System entdecken, das diesem Problem zugrunde liegt. Der biografische Teil könnte zum Beispiel eine vielschichtige Konstellation postnataler Erinnerungen an Situationen sein, in denen das Atmen ernsthaft beeinträchtigt war – das Beinahe-Ertrinken im Alter von sieben Jahren, das wiederholte Würgen durch den älteren Bruder im Alter von vier und schwere Erstickungsgefühle beim Keuchhusten oder Diphtherie im Alter von zwei Jahren. Der perinatale Beitrag zu diesem COEX könnte zum Beispiel das Erstickungsgefühl während der Geburt sein, das durch die um den Hals verdrehte Nabelschnur verursacht wurde. Eine typische transpersonale Ursache dieser Atemstörung könnte die Erfahrung sein, in einem früheren Leben gehängt oder erdrosselt worden zu sein. Detaillierte Beschreibungen der COEX-Systeme und ihrer Rolle in verschiedenen Formen der Psychopathologie, einschliesslich spezifischer Beispiele, kann man in meinen früheren Publikationen finden (Grof 1975, 1987 und 2000).

4. Wirksame therapeutische Mechanismen

Traditionelle Psychotherapie kennt nur therapeutische Mechanismen, die auf der Ebene des biografischen Materials zur Verfügung stehen, wie Schwächung psychologischer Abwehrmechanismen, Erinnerungen an vergessene oder verdrängte traumatische Erfahrungen, Rekonstruktion vergangener Ereignisse aus Träumen oder neurotischen Symptomen. Psychotherapie, die holotrope Bewusstseinszustände einbezieht, bietet viele zusätzliche hochwirksame Mechanismen der Heilung und Transformation der Persönlichkeit, die möglich sind wenn die erlebnisorientierte Regression die perinatalen und transpersonale Ebenen erreicht. Solche Mechanismen arbeiten nicht nur mit der Erinnerung, sondern können auch zum Wiedererleben traumatischer Erinnerungen aus der Kindheit, dem Säuglingsalter, der biologischen Geburt und der vorgeburtlichen Existenz führen. Selbst Erinnerungen aus früheren Inkarnationen; archetypisches Material; Erfahrungen der kosmischen Einheit, usw.
Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Norbert, ein Teilnehmer eines unserer Workshops am Esalen Institute im kalifornischen Big Sur, klagte zu Beginn über schwere chronische Schmerzen in seiner linken Schulter und im linken Brustmuskel, was grosses Leiden verursachte. Wiederholte medizinische Untersuchungen, einschliesslich Röntgenaufnahmen, hatten keinen organischen Befund für sein Problem geliefert, und alle therapeutischen Bemühungen waren erfolglos geblieben. Prokain-Injektionen schufen nur kurze vorübergehende Erleichterung während der Wirkungsdauer der Droge.
Norberts Atemsitzung war lang und sehr dramatisch. In der darauffolgenden Gruppe, in der die Teilnehmer ihre Erfahrungen schilderten, erzählte Norbert, dass er drei verschiedene Schichten erfahren habe, alle drei bezogen sich auf die Schmerzen in der Schulter und auf die Erstickungsgefühle. Auf der oberflächlichsten Ebene erlebte er eine beängstigende Situation aus seiner Kindheit, in der er fast sein Leben verlor. Als er sieben Jahre alt war, grub er gemeinsam mit seinen Freunden einen Tunnel an einem sandigen Meeresstrand. Als der Tunnel fertig war, kroch Norbert hinein, um ihn zu erforschen. Als die anderen Kinder herumsprangen, brach der Tunnel ein und begrub ihn. Er erstickte beinahe und wurde von Erwachsenen, die auf die alarmierenden Schreie der Kinder reagiert hatten, im letzten Moment gerettet.
Als sich die Atemerfahrung vertiefte, erlebte Norbert eine gewaltsame und schreckliche Episode, in der es um das Wiedererleben seiner biologischen Geburt ging. Diese war sehr schwierig gewesen, da seine linke Schulter für längere Zeit hinter dem Schambein der Mutter steckte. Auch in dieser Episode traten wieder das Ersticken zusammen mit starken Schmerzen in der linken Schulter auf.
In der letzten Phase der Sitzung änderten sich die Erfahrungen dramatisch. Norbert begann Militäruniformen und Pferde zu sehen und erkannte, dass er in einen heftigen Kampf verwickelt war. Er war sogar in der Lage zu erkennen, dass es sich um eine der Schlachten in Cromwells England handelte. Plötzlich fühlte er einen stechenden Schmerz in seiner linken Schulter, als sie von einer Lanze durchbohrt wurde. Er fiel vom Pferd und wurde von anderen Pferden zertrampelt, sie liefen über seinen Körper und zerquetschten seine Brust. Sein gebrochener Brustkorb verursachte ihm quälende Schmerzen und er erstickte an dem Blut, das seine Lungen füllte.
Nach einer Zeit extremen Leidens – Norberts Bewusstsein hat sich von seinem sterbenden Körper getrennt – schwebte es hoch über dem Schlachtfeld und beobachtete die Szene aus der Vogelperspektive. Nach dem Tod des schwer verwundeten Soldaten, in dem Norbert sich selbst in seiner früheren Inkarnation erkannte, kehrte sein Bewusstsein in die Gegenwart zurück und verband sich wieder mit seinem Körper. Dieser war nun nach vielen Jahren der Agonie zum ersten Mal schmerzfrei. Die Befreiung von den Schmerzen, die diese Erfahrungen gebracht hatten, erwies sich als dauerhaft.

4. Wirksame therapeutische Mechanismen 

Traditionelle Psychotherapie kennt nur therapeutische Mechanismen, die auf der Ebene des biografischen Materials zur Verfügung stehen, wie Schwächung psychologischer Abwehrmechanismen, Erinnerungen an vergessene oder verdrängte traumatische Erfahrungen, Rekonstruktion vergangener Ereignisse aus Träumen oder neurotischen Symptomen. Psychotherapie, die holotrope Bewusstseinszustände einbezieht, bietet viele zusätzliche hochwirksame Mechanismen der Heilung und Transformation der Persönlichkeit, die möglich sind wenn die erlebnisorientierte Regression die perinatalen und transpersonale Ebenen erreicht. Solche Mechanismen arbeiten nicht nur mit der Erinnerung, sondern können auch zum Wiedererleben traumatischer Erinnerungen aus der Kindheit, dem Säuglingsalter, der biologischen Geburt und der vorgeburtlichen Existenz führen. Selbst Erinnerungen aus früheren Inkarnationen; archetypisches Material; Erfahrungen der kosmischen Einheit, usw.
Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Norbert, ein Teilnehmer eines unserer Workshops am Esalen Institute im kalifornischen Big Sur, klagte zu Beginn über schwere chronische Schmerzen in seiner linken Schulter und im linken Brustmuskel, was grosses Leiden verursachte. Wiederholte medizinische Untersuchungen, einschliesslich Röntgenaufnahmen, hatten keinen organischen Befund für sein Problem geliefert, und alle therapeutischen Bemühungen waren erfolglos geblieben. Prokain-Injektionen schufen nur kurze vorübergehende Erleichterung während der Wirkungsdauer der Droge.
Norberts Atemsitzung war lang und sehr dramatisch. In der darauffolgenden Gruppe, in der die Teilnehmer ihre Erfahrungen schilderten, erzählte Norbert, dass er drei verschiedene Schichten erfahren habe, alle drei bezogen sich auf die Schmerzen in der Schulter und auf die Erstickungsgefühle. Auf der oberflächlichsten Ebene erlebte er eine beängstigende Situation aus seiner Kindheit, in der er fast sein Leben verlor. Als er sieben Jahre alt war, grub er gemeinsam mit seinen Freunden einen Tunnel an einem sandigen Meeresstrand. Als der Tunnel fertig war, kroch Norbert hinein, um ihn zu erforschen. Als die anderen Kinder herumsprangen, brach der Tunnel ein und begrub ihn. Er erstickte beinahe und wurde von Erwachsenen, die auf die alarmierenden Schreie der Kinder reagiert hatten, im letzten Moment gerettet.
Als sich die Atemerfahrung vertiefte, erlebte Norbert eine gewaltsame und schreckliche Episode, in der es um das Wiedererleben seiner biologischen Geburt ging. Diese war sehr schwierig gewesen, da seine linke Schulter für längere Zeit hinter dem Schambein der Mutter steckte. Auch in dieser Episode traten wieder das Ersticken zusammen mit starken Schmerzen in der linken Schulter auf.
In der letzten Phase der Sitzung änderten sich die Erfahrungen dramatisch. Norbert begann Militäruniformen und Pferde zu sehen und erkannte, dass er in einen heftigen Kampf verwickelt war. Er war sogar in der Lage zu erkennen, dass es sich um eine der Schlachten in Cromwells England handelte. Plötzlich fühlte er einen stechenden Schmerz in seiner linken Schulter, als sie von einer Lanze durchbohrt wurde. Er fiel vom Pferd und wurde von anderen Pferden zertrampelt, sie liefen über seinen Körper und zerquetschten seine Brust. Sein gebrochener Brustkorb verursachte ihm quälende Schmerzen und er erstickte an dem Blut, das seine Lungen füllte.
Nach einer Zeit extremen Leidens – Norberts Bewusstsein hat sich von seinem sterbenden Körper getrennt – schwebte es hoch über dem Schlachtfeld und beobachtete die Szene aus der Vogelperspektive. Nach dem Tod des schwer verwundeten Soldaten, in dem Norbert sich selbst in seiner früheren Inkarnation erkannte, kehrte sein Bewusstsein in die Gegenwart zurück und verband sich wieder mit seinem Körper. Dieser war nun nach vielen Jahren der Agonie zum ersten Mal schmerzfrei. Die Befreiung von den Schmerzen, die diese Erfahrungen gebracht hatten, erwies sich als dauerhaft.

5. Strategien für Psychotherapie und Selbstentdeckung

Der erstaunlichste Aspekt der modernen Psychotherapie ist die Anzahl konkurrierender Schulen und der Mangel an gegenseitiger Übereinstimmung. Es bestehen grosse Differenzen über grundlegende Fragen: Was sind die Dimensionen der menschlichen Psyche, und was sind ihre wichtigsten motivierenden Kräfte? Warum entstehen Symptome und was bedeuten sie? Welche Themen, die die Klienten in die Therapie bringen, haben zentrale Bedeutung und welche sind weniger relevant? Welche Techniken und Strategien sollten zur Korrektur oder zur Verbesserung des emotionalen, psychosomatischen und der sozialen Situation der Klienten angewandt werden? Es gibt so viele Antworten auf diese Fragen, wie es Schulen der Psychotherapie gibt.
Ziel traditioneller dynamischer Psychotherapien ist, ein allgemeines intellektuelles Verständnis der menschlichen Psyche zu erreichen, es spezifisch auf individuelle Klienten anzuwenden und dann dieses Wissen zu nutzen, um eine wirksame therapeutische Technik und Strategie zu entwickeln. Ein wichtiges Instrument vieler moderner Psychotherapien ist die «Interpretation», durch die der Therapeut dem Klienten die «wahre» oder «richtige» Bedeutung seiner Gedanken, seiner Gefühle und seines Verhaltens aufzeigt. Diese Methode wird häufig bei der Analyse von Träumen, freier Assoziationen, neurotischer Symptome, Handlungsweisen, und sogar scheinbar trivialer alltäglicher Handlungen verwendet, wie Versprecher oder anderer kleiner Fehler, siehe Freuds «Fehlleistungen» (Freud 1960a). Ein weiterer Bereich, in dem Interpretationen allgemein angewandt werden, ist die zwischenmenschliche Dynamik, einschliesslich der Übertragung verschiedener unbewusster Gefühle und Verhaltensweisen gegenüber dem Therapeuten.
Therapeuten geben sich alle Mühe, herauszufinden welche Interpretation sich für eine entsprechende Situation am besten eignet und den dafür passenden Zeitablauf zu bestimmen. Auch eine Interpretation, die «richtig» ist in Bezug auf ihren Inhalt kann nutzlos oder auch schädlich für den Patienten sein, wenn sie verfrüht angeboten wird, bevor der Klient dafür bereit ist. Ein ernstes Problem dieser Strategie ist es, dass einzelne Therapeuten, insbesondere diejenigen, die verschiedener Schulen angehören, demselben psychologischen Inhalt oder Verhalten ganz unterschiedliche Werte beimessen und auch verschiedene und sogar widersprüchliche Interpretationen anbieten. Ich werde dies durch eine humorvolle Geschichte aus meiner eigenen psychoanalytischen Ausbildung illustrieren.
Als frischgebackener Psychiater machte ich eine Lehranalyse, die aus drei Sitzungen pro Woche bestand und mehr als sieben Jahre dauerte. Mein Analytiker war Dr. Theodor Dosužkov, Nestor der tschechischen Psychoananalyse und Präsident der Tschechoslowakischen Psychoanalytischen Gesellschaft. Zur Zeit meiner Analyse war Dr. Dosužkov in seinen späten Sechzigern und es war unter seinen Analysanden bekannt – alles junge Psychiater – dass er gelegentlich während der analytischen Stunden einnickte. Dr. Dosužkov’s Angewohnheit war eine beliebte Zielscheibe für die Witze seiner Schüler.
Neben den individuellen psychoanalytischen Sitzungen leitete Dr. Dosužkov auch Seminare, in denen seine Schüler verschiedene Bücher und Fachartikel präsentierten, Fallberichte diskutierten, und wo man auch Fragen über die Theorie und Praxis der Psychoanalyse stellen konnte. In einem dieser Seminare stellte ein Teilnehmer eine «rein theoretische» Frage: «Was passiert, wenn während der Analyse der Psychoanalytiker einschläft? Wenn der Klient weiterhin frei assoziiert, wird die Therapie fortgeführt? Wird der psychotherapeutische Prozess unterbrochen? Sollte der Klient für diese Zeit rückvergütet werden, da Geld ein so wichtiges Instrument in der Freudschen Analyse ist?»
Dr. Dosužkov konnte nicht leugnen, dass eine solche Situation in psychoanalytischen Sitzungen auftreten könnte. Er war sich bewusst, dass die Analysanden seine Schwäche kannten, und er musste sich einer Antwort stellen. «Ja, das kann passieren», sagte er. «Manchmal ist man müde und schläfrig – man hat in der vorigen Nacht nicht gut schlafen, man erholt sich von einer Grippe, oder ist körperlich erschöpft. Aber wenn man viele Jahre Psychoanalyse praktiziert hat, entwickelt man eine Art «Sechster Sinn». Man schläft nur ein, wenn das, worüber der Analysand spricht, irrelevant ist. Wenn er etwas wirklich Wichtiges sagt, dann wacht man auf und ist völlig da!»
Dr. Dosužkov war ein grosser Bewunderer von Ivan Petrovich Pawlow, dem russischen Nobelpreisträger für Physiologie, der sein Wissen über das Gehirn aus seinen Experimenten mit Hunden abgeleitet hat. Pawlow schrieb viel über die Hemmung der Grosshirnrinde, die während des Schlafs oder unter Hypnose auftritt. Er wies darauf hin, dass es gelegentlich in der gehemmten Grosshirnrinde einen «wachenden Ort» gibt. Sein Lieblingsbeispiel war die Mutter, die trotz lauter Geräusche schlafen kann, aber sofort aufwacht, wenn ihr Kind weint. «Es ist genauso wie im Fall der Mutter, über die Pawlow sprach», erklärte Dr. Dosužkov. «Mit genügender Erfahrung werden Sie in der Lage sein, den Kontakt mit Ihren Klienten zu behalten, auch wenn Sie einschlafen».
Aber Dr. Dosužkovs Erklärung hatte eine offensichtliche Schwäche. Was der Therapeut in der Schilderung des Klienten als relevant betrachtet hängt von seiner Ausbildung und persönlichen Vorlieben ab. Ein Adlerscher, Rankscher oder Jungscher Therapeut würden zu unterschiedlichen Zeiten der Sitzung einschlafen oder aufwachen – jeweils in dem Moment wenn die Schilderung, entsprechend ihrer Ausbildung «relevant» ist.
Angesichts der grossen konzeptuellen Unterschiede zwischen den Schulen der Tiefenpsychologie stellt sich natürlich die Frage, welche das richtige Verständnis der menschlichen Psyche bei Gesundheit und Krankheit bietet. Wenn es wahr ist, dass korrekte und rechtzeitige Interpretationen ein wesentlicher Faktor in der Psychotherapie sind, würde man erwarten, grosse Unterschiede im therapeutischen Erfolg verschiedener Schulen zu finden. Ihre therapeutischen Ergebnisse könnte man auf einer Gaussschen Kurve abbilden. Die Therapieschule mit dem präzisesten Verständnis der Psyche und den passendsten Interpretationen würde am besten abschneiden, während diejenigen, deren konzeptioneller Rahmen weniger zutreffend ist, an den unteren Enden der Kurve verteilt wären.
Meines Wissens gibt es keine wissenschaftlichen Studien, die eine deutliche Überlegenheit bestimmter Schulen der Psychotherapie gegenüber anderen aufweisen, was Therapieerfolge anbelangt (Frank und Frank 1991). Die Unterschiede sind eher innerhalb der Schulen und nicht zwischen den Schulen zu finden. In jeder Schule gibt es bessere und schlechtere Therapeuten. Und sehr wahrscheinlich haben die Ergebnisse nur wenig mit den Methoden zu tun, die die Therapeuten anwenden – wie zum Beispiel die Richtigkeit und ein gutes Timing der Interpretationen, die korrekte Analyse der Übertragung, taktisches Einsetzen von Stille, und sonstigen spezifischen Massnahmen. Eine erfolgreiche Therapie scheint von Faktoren abzuhängen, die nichts mit intellektueller Brillanz zu tun haben und in der wissenschaftlichen Sprache schwer zu beschreiben sind – nämlich die «Qualität der menschlichen Begegnung» zwischen Therapeut und Klient, das Gefühl des Klienten, von einer anderen Person bedingungslos akzeptiert zu werden, häufig zum ersten Mal im Leben, oder die Kraft der Hoffnung und Erwartung, die der Klient während des therapeutischen Prozesses fühlt.
In ihren bemerkenswerten umfangreichen Büchern diskutierten Jerome Frank, Julia Frank, und Renato Alarcon Versuche, die Auswirkungen von Psychotherapie zu messen und verschiedene Schulen und mit ihnen verwandte Theorien miteinander zu vergleichen (Frank und Frank 1993, Alarcon und Frank 2011). Sie zeigten deutlich die schwierigen methodologischen Probleme auf, die diese Bemühungen begleiten. Meta-Analysen haben gewisse Hinweise erbracht, dass Psychotherapie positive Wirkungen haben kann, konnten aber keine signifikanten Unterschiede entdecken zwischen den Therapieerfolgen konkurrierender Psychotherapieschulen oder zwischen denen erfahrener Therapeuten und Anfängern.
In ihrer Zusammenfassung der Referate einer Konferenz zur Psychotherapieforschung boten Rubinstein und Parloff folgende scherzhafte Charakterisierung des Status auf dem Gebiet der Psychotherapie: «Psychotherapie ist eine undefinierte Technik, angewandt auf unbestimmte Probleme, mit unvorhersehbaren Ergebnissen. Für diese Technik empfehlen wir eine rigorose Ausbildung.» (Rubinstein und Parloff 1959).
Der Mangel an Übereinstimmung von Theorie und Praxis in der Psychotherapie ist unbefriedigend. Unter diesen Umständen kann ein Klient mit einer emotionalen oder psychosomatischen Störung mit dem Werfen einer Münze eine Psychotherapieschule auswählen. Mit jeder Schule erfolgt eine unterschiedliche Erklärung seines Problems und eine andere Technik wird angewandt, um es zu überwinden. Auch wenn ein angehender Therapeut eine bestimmte Schule für seine Ausbildung wählt, sagt seine Wahl mehr über die Persönlichkeit des Bewerbers aus als über den Wert der Schule.
Das Problem vieler psychotherapeutischer Schulen ist, dass sie korrekt die Dynamik auf einer bestimmten Ebene der Psyche beschreiben, ihnen aber das Verständnis der Phänomene aus anderen Ebenen des Unbewussten fehlt. Sie versuchen dann diese Erscheinungen in ihrem eigenen begrenzten konzeptionellen Rahmen zu interpretieren. Zum Beispiel war Freuds Psychoanalyse wie schon erwähnt auf die postnatale Biografie und das individuelle Unbewusste begrenzt. Freud war sich der enormen Bedeutung des Geburtstraumas nicht bewusst, mit Ausnahme einer kurzen Periode, als er dachte, die Geburtsangst könnte ein Prototyp für alle zukünftigen Ängste sein (Freud 1959). Er konnte auch die Existenz des kollektiven Unbewussten nicht akzeptieren und versuchte, archetypische/mythologische und parapsychologische Phänomene im Rahmen seines engen biologischen und biografischen Modells zu interpretieren. Otto Rank, der die psychologische Bedeutung des Geburtstraumas entdeckt und erforscht hat, interpretierte mythologische, spirituelle, und religiöse Motive als Derivate der perinatalen Dynamik. C. G. Jung, der den enormen Bereich des historischen und archetypischen kollektiven Unbewussten entdeckte und erforschte, war nicht imstande, die psychologische Bedeutung des Geburtstraumas zu sehen. In einem Interview mit Dr. Richard I. Evans hat er Otto Ranks Theorie verhöhnt: «Oh, die Geburt ist nicht ein Trauma, es ist ein Fakt, jedermann ist geboren». (Jung 1957a)
Ein wirksames und nützliches psychotherapeutisches System muss alle Ebenen der Psyche anerkennen und akzeptieren. Welche Inhalte in der Sitzung erforscht und verarbeitet werden, wird durch die Dynamik des Unbewussten des Klienten und seines eigenen psychologischen Prozesses bestimmt. Der Therapeut muss über einen genügend breiten konzeptuellen Rahmen verfügen, um seine Klienten auf allen Ebenen ihrer unbewussten Psyche begleiten zu können – biografisch, perinatal und/oder transpersonal – und ihre entsprechenden Erfahrungen unterstützen (Vaughan 1993).
Therapien, die das heilende Potenzial holotroper Bewusstseinszustände nutzen, können uns helfen, die Probleme zu vermeiden, die die verbalen Techniken der Psychotherapie plagt: zu bestimmen, was in der Schilderung eines Klienten relevant ist, und die richtige Interpretation zu wählen. Die Alternative, die uns die «holotrope Strategie» bietet, bestätigt C. G. Jungs Auffassung des therapeutischen Prozesses. Jung zufolge ist es nicht möglich, eine wirksame psychotherapeutische Technik bloss aufgrund des intellektuellen Verständnisses der Psyche zu entwickeln. In späteren Jahren seiner professionellen Karriere, nachdem er das Phänomen der Synchronizität entdeckt hatte, erkannte Jung, dass die Psyche nicht ein Produkt des Gehirns und nicht im Schädel «enthalten» ist. Er begann, die Psyche als das schöpferische Prinzip des Kosmos zu sehen, als Anima mundi, die Intelligenz, die die gesamte Existenz durchdringt. Die individuelle Psyche jeder Person ist integraler Bestandteil dieser unergründlichen kosmischen Matrix. Die Grenzen zwischen der Anima mundi und der individuellen Psyche sind nicht absolut; sie sind durchlässig und sie können in holotropen Zuständen transzendiert werden. Der Intellekt ist eine partielle Funktion der Psyche, der uns helfen kann, uns in alltäglichen Situationen zu orientieren, aber an und für sich ist der Intellekt nicht imstande, die tiefsten Mysterien der Existenz zu ergründen und die Psyche zu verstehen und zu manipulieren.
Victor Hugo sagt es wunderschön in Les Misérables: «Es gibt ein Schauspiel, das grossartiger ist als das Meer, das ist der Himmel; es gibt ein Schauspiel, das grösser ist als der Himmel, das ist das Innere der Seele». Jung erkannte, dass die Psyche ein tiefgründiges Geheimnis ist und näherte sich ihr mit grossem Respekt. Er betrachtete sie als unendlich kreativ und wusste, dass es nicht möglich ist, sie durch eine Reihe von Formeln zu beschreiben, die dann verwendet werden könnten, um die psychologischen Prozesse von Klienten zu korrigieren. Er schlug eine alternative Strategie der Therapie vor, eine, die sich von den Ansätzen, die auf intellektuellen Konstruktionen und äusseren Interventionen beruhen, deutlich unterscheidet.
Was ein Psychotherapeut Jung zufolge tun kann, ist eine unterstützende Umgebung zu schaffen, in der eine psychospirituelle Transformation stattfinden kann. Diese kann mit dem hermetischen Gefäss verglichen werden, in dem alchemistische Prozesse stattfinden. Der nächste Schritt ist, eine Methode anzubieten, die den Austausch zwischen dem bewussten Ich und einem höheren Aspekt des Klienten vermittelt, den Jung das Selbst nannte. Jungs wichtigste Technik für diesen Zweck war die «aktive Imagination» – die Fortsetzung eines Traums auf der Couch des Analytikers und die Analyse dessen Inhalts in statu nascendi (von Franz 1997). Dies unterschied sich deutlich von Freuds Methode der Traumdeutung, die mit Erinnerungen an Träume arbeitete, die manchmal Monate oder sogar Jahre alt waren.
In Jungs eigenen Worten ist «Aktive Imagination ein Prozess des bewussten Dialogs mit unserem Unbewussten zur Erzeugung der Inhalte des Unbewussten, die unmittelbar unter der Schwelle des Bewusstseins liegen. Wenn diese intensiviert werden, werden sie höchstwahrscheinlich spontan im Bewusstsein auftauchen» (Jung 1981). Bei dieser Art von Arbeit ist Heilung nicht das Ergebnis der genialen Einsichten und Interpretationen des Therapeuten; der therapeutische Prozess wird innerhalb der Psyche des Klienten durchgeführt. Die Kommunikation zwischen dem Ich und dem Selbst entsteht in erster Linie durch eine symbolische Sprache. In Jungs Verständnis ist das Selbst der zentrale Archetyp des kollektiven Unbewussten und seine Funktion ist es, das Individuum in die Richtung von Ordnung, Organisation und Ganzheit zu führen. Jung bezeichnete diese Bewegung zur höchsten Einheit als «Individuationsprozess». 
Die Anwendung holotroper Zuständen für Therapie und Selbsterfahrung bestätigt im wesentlichen Jungs Sichtweise und benutzt eine ähnliche Strategie. Facilitatoren schaffen eine schützende und unterstützende Umgebung und helfen den Teilnehmern, den holotropen Zustand zu initiieren. Sobald das geschieht, wird der Heilungsprozess durch die eigene innere Heilungsintelligenz des Klienten begleitet. Die Aufgabe der Facilitatoren ist es, zu unterstützen, was passiert. Dieser Vorgang aktiviert automatisch unbewusstes Material mit starker emotionaler Ladung, das nahe genug an der Bewusstseinsschwelle liegt, um für eine Verarbeitung am Tag der Sitzung zugänglich zu sein.
In holotropen Zuständen manifestieren die Psyche und der Körper ihre Fähigkeit, als ein integrales Selbstorganisations- und Selbstheilungssystem zu funktionieren. Therapeuten und Facilitatoren werden dadurch der hoffnungslosen Aufgabe enthoben, bestimmen zu müssen, was im Prozess des Klienten emotionell «relevant» und was von peripherer Bedeutung ist. Sie unterstützen, was von Augenblick zu Augenblick spontan auftaucht, im Vertrauen darauf, dass der innere Prozess des Klienten von einer Intelligenz geleitet wird, die das intellektuelle Verständnis übersteigt. Die Klienten und Teilnehmer an Workshops und Trainingsmodulen benutzen oft Begriffe wie COEX-Systeme, BPMs, Archetypen und so weiter, aber diese Termini spiegeln ihre direkte Erfahrung mit dem wider, was im Prozess spontan auftritt, und sind nicht Resultate irgendwelcher Interpretationen.

6. Die Rolle der Spiritualität in unserem Leben

Die führende Philosophie westlicher Wissenschaft war der monistische Materialismus. Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen haben die Geschichte des Universums als eine Geschichte der Entwicklung von Materie beschrieben und seit Galileo wurde nur als real akzeptiert, was gemessen und gewogen werden kann. Leben, Bewusstsein und Intelligenz werden dann als mehr oder weniger zufällige Nebenprodukte materieller Prozesse angesehen. Physiker, Biologen und Chemiker anerkennen die Existenz von Dimensionen der Wirklichkeit, die für unsere Sinne nicht zugänglich sind, aber eben nur jene, die physikalischer Natur sind und mit Hilfe von Apparaten wie Mikroskopen, Teleskopen und speziellen Aufnahmegeräten oder Laborexperimenten aufgezeigt und erforscht werden können.
Diese Art von Universum hat keinen Platz für jede Art von Spiritualität. Die Existenz Gottes, das Konzept unsichtbarer Dimensionen der Wirklichkeit, von immateriellen Wesen bewohnt, die Möglichkeit des Überlebens des Bewusstseins nach dem Tod und das Konzept der Reinkarnation und des Karmas werden in die Welt von Märchen oder psychotischer Phänomene verbannt. Vom Standpunkt heutiger Psychiatrie aus bedeutet diese Phänomene ernst zu nehmen Ignoranz und Unkenntnis in Bezug auf Entdeckungen der materialistischen Wissenschaft, Aberglaube, und primitives magisches Denken. Wenn intelligente Menschen an einen Gott oder eine Göttin glauben, heisst das, dass sie sich nicht von den infantilen Bildern ihrer Eltern als allmächtige Wesen befreit haben und projizieren diese Vorstellungen ins Jenseits. Und direkte Erfahrungen mit spirituellen Wirklichkeiten, inklusive Begegnungen mit mythologischen Wesen und Besuchen in archetypischen Bereichen, gelten als Manifestationen schwerer psychischen Erkrankungen – Psychosen.
Die Erforschung holotroper Zustände hat neues Licht auf die Problematik von Spiritualität und Religion geworfen. Der Schlüssel zu diesem neuen Verständnis ist die Entdeckung, dass es in diesen perinatalen und transpersonalen Erfahrungen möglich ist, eine breites Spektrum von Phänomenen zu erleben, die sehr ähnlich derjenigen sind, die die grossen Religionen der Welt inspiriert hatten – Visionen von Gott und verschiedener göttlicher und dämonischer Wesen, Begegnungen mit körperlosen Wesenheiten, Episoden psychospirituellen Todes und der Wiedergeburt, Besuche des Himmels, der Hölle, des Paradieses und des Fegefeuers, Erinnerungen an frühere Inkarnationen und vieles anderes mehr. Die moderne Bewusstseinsforschung hat ohne jeden Zweifel gezeigt, dass diese Erfahrungen nicht Produkte menschlicher Phantasie oder eines pathologischen Gehirnprozesses sind, wie sie die heutige Psychiatrie interpretiert. Es handelt sich vielmehr um Inhalte aus dem kollektiven Unbewussten und damit um authentische und wesentliche Bestandteile der menschlichen Psyche. Obwohl diese mythologischen Elemente in einem Prozess erlebnisorientierter Selbsterforschung und Selbstwahrnehmung intrapsychisch zugänglich sind, können sie auch ontologisch real sein, objektive Existenz besitzen. Um authentische transpersonale Erfahrungen von imaginären Erscheinungen der individuellen menschlichen Phantasie oder Psychopathologie zu unterscheiden, bezeichnen die Jungianer diesen Bereich als «imaginal».
Der französische Gelehrte, Philosoph und Mystiker Henri Corbin, der als erster den Begriff mundus imaginalisverwendet hat, verdankt die Inspiration dieses Konzepts dem Studium der islamischen mystischen Literatur (Corbin 2000). Islamische Theosophen nennen die imaginale Welt – wo alles, was in der materiellen Welt existiert, seine Analogie hat –, alam al-mithal oder «der achte Himmelsstrich», um sie von den «sieben Himmelsstrichen» oder Regionen der traditionellen islamischen Geographie zu unterscheiden. Die imaginale Welt besitzt räumliche und zeitliche Dimensionen, Formen und Farben, aber diese sind für unsere Sinne nicht wahrnehmbar wie materielle Objekte. Doch dieser Bereich ist in jeder Hinsicht genauso ontologisch völlig real wie die materielle Welt, die wir durch unsere Sinnesorgane wahrnehmen, und er kann durch konsensuelle Überprüfung von anderen Menschen verifiziert werden. Die ontologische Realität transpersonaler Erfahrungen und Ereignisse wird auch von Theorien unterstützt, die ihren partizipativen Charakter erkennen und betonen (Ferrer 2002, Tarnas 1993 und 2006).
In Anbetracht dieser Beobachtungen erscheinen die erbitterten Kämpfe zwischen Religion und Wissenschaft im Laufe der letzten drei Jahrhunderte lächerlich und völlig unnötig. Echte Wissenschaft und authentische Religion konkurrieren nicht um dasselbe Gebiet; sie repräsentieren zwei verschiedene Ansätze, die komplementär, nicht kompetitiv sind. Die Wissenschaft studiert Phänomene in der materiellen Welt, im Bereich des Messbaren und Wägbaren, während echte Spiritualität und wahre Religion ihre Inspiration aus erfahrungsbezogener Erkenntnis der imaginalen Welt ziehen, wie sie sich in holotropen Bewusstseinszuständen manifestieren.
Der Konflikt, der zwischen Religion und Wissenschaft zu existieren scheint, spiegelt ein grundlegendes Missverständnis beider Disziplinen wieder. Wie Ken Wilber darauf hingewiesen hat, kann es keinen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion geben, solange beide richtig verstanden und praktiziert werden. Wenn ein Konflikt aufzutauchen scheint, handelt es sich wahrscheinlich um «Pseudowissenschaft» und «Pseudoreligion» (Wilber 1982). Die scheinbare Unvereinbarkeit rührt daher, dass jede Seite die Position der anderen ernsthaft missversteht und sehr wahrscheinlich auch eine fragwürdige Version der eigenen Disziplin vertritt.
Wirklich relevante und gültige Urteile über spirituelle Probleme kann nur das Studium holotroper Zustände liefern, weil sein fundiertes Verständnis von Spiritualität, Religion und Mystizismus eine gründliche Kenntnis der imaginalen Welt erfordert. Aldous Huxley hat in seinem bahnbrechenden Buch Himmel und Hölle vorgeschlagen, dass Himmel und Hölle intrapsychische Realitäten sind, die man auf eine sehr überzeugende Weise während aussergewöhnlicher Bewusstseinszuständen erfahren kann, die durch psychedelische Substanzen wie LSD und Meskalin oder verschiedenen wirkungsvollen nicht-pharmakologischen Techniken hervorgerufen werden können (Huxley 1959). Der scheinbare Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion stammt von dem jahrhundertealten Irrglauben, dass sich die Bereiche des Jenseits im physischen Universum befänden – der Himmel im unendlichen kosmischen Raum, das Paradies irgendwo in einem versteckten Bereich auf der Oberfläche unseres Planeten und die Hölle im Inneren der Erde.
Astronomen haben äusserst exakte Messgeräte wie das Hubble Weltraumteleskop entwickelt. Sie haben sorgfältig das gesamte Himmelsgewölbe erforscht und kartiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen, die natürlich nicht Gott, Heilige und harfenspielende Engel entdeckt haben, dienten als Nachweis, dass solche spirituelle Realitäten nicht existieren. Bei der akribischen Katalogisierung und Kartierung der Oberfläche unseres Planeten haben Forscher und Geographen viele aussergewöhnlich schöne Landschaften gefunden, aber keine von ihnen entsprach den Beschreibungen der Paradiese in den spirituellen Schriften der verschiedenen Religionen. Geologen haben herausgefunden, dass unser Planet aus Schichten von festem und geschmolzenen Nickel und Eisen besteht und dass die Temperatur des Erdkerns die der Oberfläche der Sonne übersteigt – wohl kaum ein sehr glaubwürdiger Ort für die Höhlen Satans.
Inzwischen haben moderne Studien holotroper Zustände überzeugende Beweise für Huxleys Einsichten erbracht. Sie haben gezeigt, dass Himmel, Paradies und Hölle ontologisch real sind und deutliche und wichtige Erfahrungen aus dem kollektiven Unbewussten darstellen, die alle Menschen unter bestimmten Umständen erleben können. Himmlische, paradiesische und höllische Visionen sind Teil des Erlebnisspektrums bei psychedelischen inneren Reisen, Nahtod-Erfahrungen, mystischen Zuständen sowie bei schamanischen Initiationen und anderen Arten von «spirituellen Krisen». Patienten berichten ihren Psychiatern oft über Erfahrungen von Gott, Himmel, Hölle, archetypischen göttlichen und dämonischen Wesen und über psychospirituelle Tod- und Wiedergeburtserlebnisse. Aufgrund ihres unangemessenen oberflächlichen Modells der Psyche betrachten materialistisch orientierte Psychiater diese Erfahrungen als Manifestationen schwerer psychischer Erkrankungen. Sie erkennen nicht, dass Matrizen für diese Erfahrungen in den Untiefen der kollektiven unbewussten Psyche existieren.
Ein erstaunlicher Aspekt transpersonaler Erfahrungen während unterschiedlicher Arten holotroper Zustände ist, dass ihre Inhalte aus den Mythologien aller Kulturen der Welt stammen können, einschliesslich solcher, über die die betreffende Person keine intellektuelle Kenntnis hat. C. G. Jung hat diese aussergewöhnliche Tatsache entdeckt, als er die mythologischen Motive untersuchte, die in den Träumen und psychotischen Erfahrungen seiner Patienten auftraten. Aufgrund seiner Beobachtungen ist er zum Schluss gekommen, dass die menschliche Psyche nicht nur das Freudsche individuelle Unbewusste umfasst, sondern auch ein kollektives Unbewusstes, das das gesamte kulturelle Erbe der Menschheit beinhaltet (Jung 1956, 1959). Umfassende Kenntnis vergleichender Mythologie ist also mehr als eine Sache persönlichen Interesses oder akademischer Bildung. Sie dient als wichtiger und nützlicher Leitfaden jener Personen, die sich in erfahrungsorientierter Psychotherapie und Selbsterforschung engagieren, und sie stellt ein unverzichtbares Instrument für diejenigen dar, die sie auf ihren Reisen unterstützen und begleiten (Grof 2006).
Die Erfahrungen, die ihren Ursprung in tieferen Ebenen der Psyche haben – in den perinatalen oder transpersonalen Bereichen des Unbewussten – haben eine gewisse Eigenschaft, die Jung als «Numinosität» bezeichnet. Das Wort «numinos», das Jung von Rudolf Otto entlehnte, ist relativ neu und neutral und um damit Begriffe wie zum Beispiel religiös, mystisch, spirituell, geistlich, magisch oder heilig vorzuziehen, die oft in problematischen Zusammenhängen und mit verschiedenen Bedeutungen benutzt werden und leicht irreführend sind. Der Begriff Numinosität, angewendet auf transpersonale Erfahrungen, bezieht sich auf direkte Wahrnehmung ihrer aussergewöhnlichen Eigenschaft, die Otto mit den Bezeichnungen wie mysterium tremendum et fascinansund das «ganz Andere» beschrieben hat. Das ist eine Eigenschaft, die man im alltäglichen Bewussseinszustand in der Regel nicht erfahren kann. Die Numinosität, die mit transpersonalen Erfahrungen verbunden ist, vermittelt ein sehr überzeugendes Gefühl, dass diese einer höheren Ordnung der Wirklichkeit angehören, einem Bereich, der heilig und der materiellen Wirklichkeit übergeordnet ist.
In Anbetracht der ontologischen Realität der imaginalen Welt, ist Spiritualität eine sehr wichtige und natürliche Dimension der menschlichen Psyche und des Kosmos, und die spirituelle Suche stellt ein legitimes menschliches Streben dar. Ich möchte betonen, dass ich damit echte, auf persönlichen Erfahrungen basierte Spiritualität meine und keine Unterstützung für Ideologien und Dogmen institutionalisierter Religionen bieten möchte. Um Missverständnissen und Verwirrungen auszuweichen, die viele ähnliche Diskussionen in der Vergangenheit geprägt haben, müssen wir eine klare Unterscheidung treffen zwischen Spiritualität und Religion.
Spiritualität umfasst eine besondere Art von Beziehung zwischen Individuum und Kosmos und ist im Wesentlichen eine persönliche Angelegenheit. Im Vergleich dazu ist die institutionalisierte Religion eine Gruppenaktivität, die an einem bestimmten Ort, in einem Tempel oder einer Kirche stattfindet und auch eine hierarchische Organisation von Personen miteinbezieht, die in der Regel keine persönlichen Erfahrungen der spirituellen Wirklichkeiten erlebt haben. Sobald eine Religion organisiert ist, verliert sie oft die ursprüngliche Verbindung mit ihrer geistigen Quelle und wird zu einer säkularen Institution, die die spirituellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder ausnutzt, ohne sie zu befriedigen.
Institutionalisierte Religionen neigen dazu, hierarchische Systeme zu schaffen, die sich auf Macht, Kontrolle, Politik, Geld, Besitz und andere weltliche Anliegen fokussieren. Unter diesen Umständen neigt die religiöse Hierarchie dazu unmittelbare mystische Erfahrungen ihrer Anhänger abzulehnen, da diese ihre Unabhängigkeit fördert und sie weniger stark kontrolliert werden können. Echtes spirituelles Leben spielt sich dann meist nur in den mystischen Gruppen, monastischen Orden und ekstatischen Sekten dieser Religionen ab. Personen, die Erfahrungen des immanenten oder transzendenten Göttlichen erlebt haben, zeigen eine gewisse Offenheit gegenüber der Spiritualität, die man in den mystischen Untergruppen grosser Religionen der Welt oder in ihren Mönchsorden pflegt, nicht aber gegenüber den idiosynkratischen Dogmen ihrer offiziellen Lehren. Tiefe mystische Erfahrungen lassen oft vielmehr die Grenzen zwischen den Religionen verschwinden und offenbaren tiefe Verbindungen zwischen ihnen, während der Dogmatismus der organisierten Religionen dazu neigt, Unterschiede zwischen ihren Theologien zu betonen und damit Widerstreit und Feindseligkeit zu erzeugen.
Es besteht kein Zweifel, dass die Dogmen institutionalisierter Religionen, wenn sie wörtlich interpretiert werden, in einem grundlegenden Konflikt mit der Wissenschaft stehen, da diese Wissenschaft das mechanistisch-materialistische Modell verwendet oder in einem neuen Paradigma verankert ist. Das Bild ändert sich aber erheblich beim authentischen Mystizismus, der auf persönlichen spirituellen Erfahrungen basiert. Die grossen mystischen Traditionen haben im Laufe vieler Jahrhunderte umfangreiches Wissen über das Bewusstsein, die Psyche und die spirituellen Bereiche zusammengetragen. Dieses Vorgehen ähnelt dem kritischen Ansatz, den Wissenschaftler beim Aneignen von Kenntnissen über die materielle Welt folgen. Dazu gehören Methoden zum Hervorrufen transpersonaler Erfahrungen, systematisches Sammlung von Daten, und intersubjektive Überprüfung.
Wie jeder andere Aspekt der Wirklichkeit, können auch spirituelle Erfahrungen sorgfältiger wissenschaftlicher Forschung unterzogen werden. Nur eine objektive und rigorose Untersuchung der transpersonalen Phänomene und der Herausforderungen, die sie für ein materialistisches Verständnis der Welt darstellen, kann die kritische Frage nach deren ontologischem Status beantworten: Können mystische Erfahrungen tiefe Wahrheiten über wichtige grundlegende Aspekte des Daseins offenbaren – oder sind sie Produkte von Aberglauben, magischem Denken, von Phantasie oder Geisteskrankheit, wie sie die westliche materialistische Wissenschaft sieht?
Die moderne Psychiatrie unterscheidet nicht zwischen mystischen Erfahrungen und psychotischen Schüben und sieht beide Phänomene als Manifestationen psychischer Krankheiten an – als Psychosen. In ihrer Ablehnung der Religion macht sie auch keinen Unterschied zwischen primitivem Volksglauben und den fundamentalistischen wörtlichen Auslegungen religiöser Schriften auf der einen und den anspruchsvollen mystischen Traditionen oder den grossen östlichen spirituellen Philosophien auf der anderen Seite. Es scheint nicht von Belang, dass diese uralten Traditionen auf Jahrhunderten systematischer introspektiver Erforschung der Psyche basieren. Die moderne Bewusstseinsforschung hat überzeugende Beweise für die objektive Existenz verborgener Dimensionen des Daseins erbracht und damit die metaphysischen Grundannahmen der mystischen Weltsicht, der östlichen spirituellen Philosophien und sogar bestimmter Überzeugungen alter Stammeskulturen verifiziert.

7. Die Bedeutung der archetypischen Astrologie für die Psychologie

Die grösste Überraschung, die ich während meiner mehr als fünfzig Jahre Bewusstseinsforschung erlebt habe, war die Entdeckung des aussergewöhnlichen voraussagenden Potenzials der archetypischen Astrologie. Wegen meiner umfangreichen wissenschaftlichen Ausbildung war ich zunächst sehr skeptisch gegenüber der Astrologie. Die Vorstellung, dass die Planeten und Fixsterne etwas mit Bewusstseinszuständen zu tun haben könnten, geschweige denn mit den Ereignissen in der Welt, schien zu absurd und bizarr, um ernst genommen zu werden. Es dauerte Jahre und benötigte Tausende von überzeugenden Beobachtungen, bevor ich imstande war, dies zu akzeptieren. Die Verschiebung meines Weltbilds erforderte nichts weniger als eine radikale Korrektur meiner metaphysischen Grundannahmen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit, die ich durch mein Universitätsstudium erworben hatte. Angesichts der Kontroverse, die mit diesem Thema verbunden ist, würde ich Astrologie hier nicht erwähnen, hätte nicht Richard Tarnas drei bemerkenswerte Bücher über seine akribische bahnbrechende Forschung veröffentlicht: Passion of the Western MindPrometheus the Awakener, und Cosmos and Psyche (Tarnas 1993, 1995 und 2006).
In den letzten dreissig Jahren haben Rick und ich gemeinsam astrologische Verknüpfungen holotroper Zustände untersucht. Meine Hauptaufgabe war es, interessante klinische Beobachtungen aus psychedelischen Sitzungen, Erfahrungen der Teilnehmer in unseren Workshops und Trainings mit holotropem Atmen, mystischen Zuständen, «spirituellen Krisen» und psychotischen Zusammenbrüchen zu sammeln. Ricks Hauptaugenmerk war auf die astrologischen Aspekte der holotropen Zustände gerichtet. Diese Zusammenarbeit hat überzeugende Beweise erbracht für systematische Korrelationen zwischen der Art, dem Zeitpunkt und dem Inhalt holotroper Zustände und den planetaren Transiten der beteiligten Personen erbracht.
Das erste Anzeichen, dass eine aussergewöhnliche Verbindungen zwischen Astrologie und meiner Forschung holotroper Zustände existieren könnte, war die Erkenntnis, dass meine Beschreibung der Phänomenologie der vier basalen perinatalen Matrizen (BPM) – mit den Stufen der biologischen Geburt assoziierten erlebnisorientierten Mustern – erstaunliche Ähnlichkeit mit vier wichtigen Archetypen zeigten, die Astrologen mit den vier äusseren Planeten des Sonnensystems verbinden: BPM mit Neptun, BPM II mit Saturn, BPM III mit Pluto, und BPM IV mit Uranus. Ich muss betonen, dass meine Beschreibung der Phänomenologie der BPM ausschliesslich aufgrund klinischer Beobachtungen formuliert wurde, viele Jahre bevor ich irgendetwas über Astrologie wusste.
Noch erstaunlicher war die Entdeckung, dass in holotropen Zuständen die erlebnismässige Konfrontation mit diesen Matrizen immer dann auftritt, wenn die betreffenden Personen wichtige Transite der entsprechenden Planeten aufweisen. Im Laufe der Jahre konnten wir diese Tatsache durch Tausende spezifischer Beobachtungen bestätigen und viele weitere astrologische Korrelationen für andere Formen holotroper Zustände entdecken. Aufgrund dieser überraschend präzisen Korrelationen, hat sich Astrologie – vor allem die Transit-Astrologie – als ein wertvolles Instrument für die Bewusstseinsforschung erwiesen.
Dies ist ein grosses und äusserst wichtiges Thema, dem ich im Rahmen dieses Artikels nicht gerecht werden kann. Interessierte Leser können weitere Informationen in meinen zwei Artikeln über holotrope Zustände und archetypische Astrologie finden (Grof 2009 und Grof 2013). Eine angemessene Erörterung dieser bemerkenswerten Ergebnisse erfordert eine separate, von einem professionellen Astrologen verfasste Abhandlung. Aber ich habe in den letzten dreissig Jahren genug Beweise gesammelt, um hier einige Worte über mein gegenwärtiges Verständnis der Beziehung zwischen dem Zeitpunkt und Inhalt der spontanen oder induzierten holotropen Zustände und der Transit-Astrologie zu sagen.
Wir haben wiederholt gesehen, dass das Bewusstsein von Menschen während holotroper Bewusstseinszustände, unter den Einfluss der archetypischen Felder transierender Planeten geraten, die zu diesem Zeitpunkt wichtige anguläre Positionen mit den Planeten ihres Geburtshoroskops bilden (Konjunktion, Sextil, Quadrat, Trigonum, oder Opposition). Dies aktiviert selektiv das COEX-System mit den entsprechenden archetypischen Qualitäten. Dieser COEX regelt die inneren Erfahrungen sowie die Wahrnehmung der äusseren Umgebung. Das auftauchende unbewusste Material besteht aus biografischen, perinatalen, und transpersonalen Elementen, und die Interaktion dieser archetypischen Energien ist oft sehr kreativ, humorvoll und spielerisch. Die Tiefe und Intensität dieser Vorgänge hängen von der Intensität der archetypischen Energien und der Anzahl vorheriger Erfahrungen mit holotropen Zuständen ab. Obwohl ich mir bewusst bin, dass diese kurze Schilderung unserer astrologischen Beobachtungen Lesern ohne astrologische Kenntnisse wenig sagen wird, hoffe ich, dass sie erfahrene Astrologen inspirieren wird, sie ihrerseits zu erforschen um sie zu bestätigen oder zu widerlegen.
Zurzeit erleben wir eine aussergewöhnliche Renaissance der psychedelischen Forschung, nachdem mehrere berühmte amerikanische Universitäten (Harvard, UCLA, Johns Hopkins, SUNY u.a.) entsprechende Studien durchführen. Workshops, die holotropes Atmen anbieten, finden in vielen Ländern der Welt statt und spontane Erlebnisse holotroper Zustände ereignen sich zuhauf. Lesende, die die Schlussfolgerungen dieses Artikels prüfen oder widerlegen wollen, steht also genügend Forschungsmaterial zur Verfügung.
Nach meiner Auffassung ist die archetypische Astrologie der lang gesuchte Rosettastein der Bewusstseinsforschung. Sie bietet einen Schlüssel zum Verständnis von Form, Zeit und Inhalt spontaner und induzierter holotroper Zustände in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es ist wichtig zu betonen, dass astrologische Prophezeiungen, obwohl sie aussergewöhnlich präzis sind, archetypisch voraussagend und nicht konkret voraussagend sind. Gemäss den Forschungen von Richard Tarnas ist eine der auffallendsten Eigenschaften der Archetypen ihre komplexe Vieldeutigkeit. Jeder Archetyp und jede archetypische Kombination besitzen ein reiches Spektrum an Bedeutungen, und bleiben gleichzeitig ihrer eigenen spezifischen Natur treu. Obwohl zum Beispiel Saturn und Neptun eine grosse Auswahl an Bedeutungen haben, würde ein erfahrener Astrologe keine dieser Bedeutungen jeweils untereinander verwechseln.
Die in diesem Artikel beschriebene Revision der Psychologie basiert auf mehr als fünfzig Jahren Bewusstseinsforschung. Sie bringt theoretische Klarheit in die Welt der Tiefenpsychologie und hilft, die unterschiedlichen Positionen konkurrierender Schulen miteinander in Einklang zu bringen. Sie bietet ausserdem einen radikal anderen Ansatz im Hinblick auf die verwirrende Vielzahl psychotherapeutischer Techniken – die Selbstheilung und die selbstorganisierende Intelligenz der Psyche der Klienten. Wenn der Paradigmenwechsel in der westlichen Wissenschaft erfolgreich abgeschlossen sein wird, könnte die verantwortungsvolle Arbeit mit holotropen Zuständen mit Hilfe der archetypischen Astrologie eine der vielversprechendsten Entwicklungen in der Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie sein.

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Übersetzung: Hans Peter Weidinger | Lektorat: Dieter Hagenbach

© Stanislav Grof 2012, 2014

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