april 2022 – gut zu lesen

Man lebt von einem Tag zum andern. Berlin 1935 – 1948

Irmgard Keun
„Ich bin rein arisch, mein Stammbaum nimmt gar kein Ende. Es kotzt mich an, sowas sagen und schreiben zu müssen.“ (Irmgard Keun an Franz Hammer, 1935) Im Sommer 1935 erhält die Schriftstellerin Irmgard Keun (1905–1982), deren Romane von den Nationalsozialisten verboten worden sind, Post von einem unbekannten Kollegen. Franz Hammer (1908–1985) ist nach der Machtübernahme Hitlers verhaftet und anschliessend zu Zwangsarbeit verpflichtet worden. Dennoch hat er – wie Irmgard Keun – das Schreiben nicht aufgegeben. Zwischen beiden entsteht rasch eine warmherzige Brieffreundschaft, die auch nicht abreisst, als sie sich entschliesst, ins Exil zu gehen. Da Irmgard Keun kein Archiv hinterlassen und biografische Spuren verwischt hat, besitzt der Fund von zwanzig Briefen und Gegenbriefen im Literaturarchiv der Akademie der Künste, Berlin besonderes Gewicht.
Quintus Verlag | September 21

Von Okapi, Scharschildkröte und Schnilch. Ein prekäres Bestiarium

Heiko Werning, Ulrike Sterblich
Die Welt ist – noch – voller sonderbarer und fantastischer Kreaturen… Die Scharnierschildkröte hat das Social Distancing erfunden: Wann immer ihr etwas nicht behagt, geht sie in den Mini-Lockdown und kappt die Verbindungen zur Aussenwelt. Der Tasmanische Beutelteufel ist der Wutbürger unter den Tieren, der stinkend, schreiend und mit roten Ohren durch die Gegend springt. Die Partula-Schnecke, benannt nach dem Trio der römischen Schicksalsgöttinnen, ist ein echter Albtraum aller Romantiker und von ElitePartner. Der Baumhummer, ein verunstalteter Südsee-Yeti mit schwankendem Gang und Rüstung, kann Klone erzeugen. So seltsam und unterschiedlich wie diese Tiere sind, teilen sie doch eine traurige Gemeinsamkeit: Ihr Überleben steht auf der Kippe! Städtebau, Abholzung von Wäldern oder Wilderei haben die Arten in eine prekäre Lage gebracht. Ein gallisches Dorf von engagierten Tierfreunden und –schützern rund um die Organisation Citizen Conservation sorgt durch ihren Einsatz in Zucht- und Auswilderungsprojekten dafür, dass das endgültige Aussterben verhindert werden kann.
Gallani Verlag | Februar 22

Waldinneres

Mónica Subietas
Dank der Hilfe verschiedener Personen ist einem jüdischen Kunstsammler die Flucht vor den Nazis in die Schweiz gelungen. Das ist allerdings das Letzte, was man von ihm weiss. Einzig sein Gehstock, in dessen Inneren sich ein kleines, zusammengerolltes Gemälde befindet, wird in einem Wald aufgefunden. Siebzig Jahre danach bekommt Gottfried den Schlüssel zu einem Schliessfach einer Bank in Zürich ausgehändigt. Was er darin vorfindet, übertrifft alle seine Erwartungen: Es ist ein Gemälde von Gustav Klimt. Ein Echtes! Gottfried muss sich nun der Frage stellen, wie es in den Besitz seines Vaters gekommen ist. Und wem es wirklich gehört. Mónica Subietas, geboren 1971 in Barcelona, lebt seit 2008 in Zürich. Sie ist Kulturjournalistin und Editorial Designerin, ausserdem arbeitet sie in der Leseförderung mit Gruppen von Erwachsenen und Kindern im Vorschulalter. Vor ihrem Umzug nach Zürich lebte sie in Barcelona, Madrid und New York.
S. Fischer | April 22

Das Leben eines anderen

Keiichiro Hirano
Akira Kido lebt in Yokohama, ist Ende dreissig, Vater eines vierjährigen Sohnes, Ehemann und Scheidungsanwalt. Er hadert mit seinem Leben, seiner Ehe, alles erscheint ihm festgefahren und auf unbestimmte Weise falsch. Da wird er von einer ehemaligen Klientin aufgesucht und um Ermittlungen zu ihrem kürzlich verstorbenen Ehemann Daisuke gebeten. Ein Jahr nach dessen Tod stellte sie fest, dass Daisukes Identität auf einer Lüge basierte: sein Name, seine Vergangenheit, seine Personalakte – alles gefälscht. Kido beginnt mit den Recherchen und deckt ein komplexes System von Identitätstausch auf. Bis er schliesslich selbst von der Idee verführt wird, sich das Leben eines anderen Mannes anzueignen, um dem eigenen Schicksal zu entgehen. Keiichirō Hirano, der grosse, bisher  nicht übersetzte Gegenwartsautor Japans, schreibt in einem raffinierten literarischen Spiel über eine scheinbar ganz normale japanische Familie – und über das fatale Verlangen, das Leben eines Anderen zu führen.
Suhrkamp | April 22

Wer noch kein Grau gedacht hat. Eine Farbenlehre

Peter Sloterdijk
Solange man kein Grau gemalt habe, sagte Paul Cézanne einmal, sei man kein Maler. Wenn Peter Sloterdijk diesen Satz auf die Philosophie überträgt, mag dies als unerläutertes Behauptungsereignis wie eine Provokation klingen. Warum sollten Philosophen eine einzelne Farbe denken, anstatt sich mit Ethik, Metaphysik oder Logik zu beschäftigen? Doch schon eine erste historische Grabung verschafft der Intuition Plausibilität: Welche Farbe haben die Schatten in Platons Höhlengleichnis? Malt die Philosophie laut Hegel nicht stets Grisaillen? Und impliziert Heideggers In-der-Welt-sein nicht den Aufenthalt in einem diffusen Grau? Peter Sloterdijk folgt dem grauen Faden durch die Philosophie-, Kunst- und Mentalitätsgeschichte. Er befasst sich mit der Rotvergrauung der Deutschen Demokratischen Republik, mit Graustufenphotographie und lebensfeindlichen Landschaften in der Literatur. Indem er das Grau als Metapher, als Stimmungsindikator und als Anzeige politisch-moralischer Zweideutigkeit erkundet, liefert er eine Vielzahl bestechender Belege für die titelgebende These.
Kein & Aber | Februar 22

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