februar 2023 – goodnews editorial

wege zur legalisierung

Dass Cannabis in den deutschsprachigen Ländern nach wie vor nicht entkriminalisiert wurde, ist äusserst bedauernswert. Wenn ich bei uns in Denner gehe und für hunderte Franken Schnapps, Wein und Bier kaufe, fragt mich niemand nach meiner Berechtigung. Dabei gehen die durch Alkohol verursachten medizinischen und gesellschaftlichen Schäden jedes Jahr in die Abermillionen, was wir alle wissen. «Kifferin» soll ich mir aber auf die Stirn schreiben und mich dafür potenziell von Versicherungen, Krankenkassen und Arbeitsgeberinnen diskriminieren lassen?
Und wenn Cannabis – endlich – entkriminalisiert wird, wie verfahren wir dann mit den psychedelischen und schliesslich mit allen anderen Substanzen? Wie bereits im letzten Editorial erwähnt, ist das medizinisch kein Problem, wenigstens bei uns, wo inzwischen gegen siebzig Therapeuten über offizielle Lizenzen verfügen, um ihre Klientel psychedelisch zu betreuen. Und sonst? Claude Weill, Autor des lesenswerten Buchs Elysium und zurück, meint:  «Wer erwachsen ist, das nötige Grundlagenwissen mitbringt und unter Anleitung erste Erfahrungen mit Psychedelika gemacht hat, soll legal konsumieren dürfen.» Im gleichen Artikel des ‘Beobachter’ vom 30. März 2020 meint Suchtmediziner Toni Berthel: Erwachsene «brauchen keine Lebensführungs-Besserwisser».
Aber wie soll das konkret vor sich gehen? Was wir sicher brauchen, ist ein Netzwerk für spirituelle Krisen, denn auch wer die Lizenz zum Konsum von Psychedelika erlangt, kommt nicht unbedingt auf immer und ewig allein mit seinen Erfahrungen zurecht. Gruppenarbeit ist angesagt, und ein Netz aus freiwilligen Betreuerinnen sollte es auch geben. Wir müssen dem Kommerz der aufkeimenden Psychedelika-Industrie eigene Wege entgegensetzen, wollen wir uns nicht vereinnahmen und ausnutzen lassen. Woher die Substanzen dazu kommen sollen, muss auch geregelt werden. Eingangs erwähntes medizinische Modell bringt die richtigen Ansätze. Wie können Private davon profitieren und damit Geld in die richtigen Kassen spülen, nämlich ins universitäre Umfeld, wo es nicht um Profit, sondern um eine andere Art von Gewinn geht, nämlich um Erkenntnisse?
Und was machen wir schliesslich mit den unzähligen Kokainisten und den anderen Konsumentinnen süchtig machender Substanzen? Wie kommen sie sicher an ihren Stoff, wenn sie nicht zu den Härtefällen gehören, die von unserem Heroinprogramm profitieren? Soll es ihnen wie im Song ‘You Can’t Always Get What You Want’ der Rolling Stones gehen, in dem sie in einer Apotheke hinter einem Mr. Jimmy anstehen, um ihr Rezept einzulösen? Ärzte verschreiben, Nutzer nutzen? Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Menschen, die sich wohl für Subtanzen, aber nicht unbedingt für Bewusstseinserweiterung interessieren, draussen in der Kälte stehen zu lassen. Das psychedelische Ethos ist human und inklusiv. Alles weitere wird sich weisen.
Wärmste Grüsse aus der Kälte von
Ihrer
  Susanne G. Seiler
 
P.S. Sie finden uns jeden Donnerstagnachmittag von 14 – 18 Uhr in der Gaia Lounge, Hochstrasse 70 in Basel (Nähe Hauptbahnhof Basel SBB, Haltestelle Peter Merian). Herzlich willkommen!


haiku (aus Polarnacht)

Der blaue Falke
Sammelt Eiskristalle
Webt dem Wind ein Nest

 Inger-Marie Aikio

januar 2023 – goodnews editorial

come together

Zum Jahresanfang möchte ich Ihnen alles Gute wünschen: Bleiben sie gesund, entspannt und friedlich!
Für das kommende Jahr wünsche ich mir, dass unter Psychonautinnen Freund- und Gemeinschaften entstehen. Wir haben es mit mindestens vier Themenkreisen zu tun, für die man sich engagieren kann.
Bei der Entkriminalisierung von Psychedelika geht es zuallererst um indigene Bevölkerungen in aller Welt, deren Recht auf den überlieferten Umgang mit den von ihnen benutzten Substanzen international anerkannt werden muss. Ohne sie würden wir viele psychoaktive Pflanzen und andere Gewächse nicht kennen.
Um den medizinischen Bereich brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Dieser wird gut abgedeckt durch Psychiater und Psychologen, durch Universitäten, Spitäler und Kliniken, die in einem guten Kontakt mit den Behörden stehen. Ich erinnere Sie daran, dass an allen grossen Schweizer und auch an vielen internationalen Universitäten mit psychedelischen Substanzen geforscht wird.
Der dritte Bereich, der einer einheitlichen Regelung harrt, betrifft den privaten und rituellen Gebrauch von Psychedelika, sei es nun innerhalb oder ausserhalb einer (spirituellen) Gemeinschaft. Es kann nicht sein, dass ich mich strafbar mache mit einer Handlung, die fernab vom Auge der Öffentlichkeit stattfindet und nur mich selbst betrifft.
Der vierte Bereich, oft verächtlich als unseriös abgetan, betrifft die grosse Gruppe junger Menschen, die Substanzen in meist geringen Dosen bevorzugen, um damit an Partys und Raves die Nacht zu durchtanzen und ihrer Innenwelt über ihrem Körper Ausdruck zu verleihen. Viele Erwachsene scheinen vergessen zu haben, wie viel Energie in jungen Menschen steckt! Ein Körper in Bewegung ist vielleicht gerade deshalb in der Lage, Traumata zu verarbeiten und abzuschütteln, weil eine Verbalisierung nicht möglich ist, da es oft an emotionaler Erfahrung und an bewussten Inhalten fehlt. Unnütze Gebote und Verbote aus der Kindheit finden in der Disco ein stilles Grab.
Gleich wo und in welchem dieser vier Bereiche, es geht immer um Freiheit und Selbstbestimmung. Sie zu erlangen liegt an uns allen. Ich hoffe, wir finden Wege, die richtige Leute zusammenzubringen.
Kommen Sie gut durch den Winter – mit oder ohne substantielle Unterstützung.
   Ihre
   Susanne G. Seiler

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kreislauf

Der Kreislauf wirkt
und immer wieder
ein neues Jahr,
ein neuer Tag,
ein neuer Gedanke,
wenn auch nur für einen,
in schlafloser Nacht geträumten,
leisen Augenblick.

   Jo M. Wysser

dezember 2022 – goodnews editorial

schwere zeiten

Ich muss einen Weg finden, unsere leidende Welt mit meinem eigenen Optimismus, meiner Freude und meinen Verpflichtungen in Einklang zu bringen.
Patti Smith

Die Pandemie und der brutale Krieg in der Ukraine haben uns gesellschaftlich und wirtschaftlich aus der Bahn geworfen. Das Leben ist teurer geworden. In Amerika schlachtet im Wochentakt irgendein Wahnsinniger unschuldige Menschen ab. Frauen werden weltweit erschütternd häufig Opfer gezielter männlicher Gewalt; die Dunkelziffer ist riesig. Übersterblichkeit, wohin man schaut, vor allem aber in der von uns gebeutelten Natur. Nicht dass vorher alles besser gewesen wäre, doch inzwischen wissen wir genau, was uns plagt und kränkt, und machen uns weniger Illusionen darüber, wer wir sind und wozu wir fähig sind.
Weihnachten steht vor der Tür, trotz allem ein Grund zur Freude. Unsere Familie hat vor einigen Jahren beschlossen, dass wir nur noch den Kindern etwas schenken. Ich halte mich konsequent nicht daran, denn auch die Erwachsenen sind meine Kinder und ihre Partner stellvertretend ebenso.
Was die Geschenke angeht, setze ich seit dem Verdikt gegen die Erwachsenen auf Naturalien. Mein Enkel, der ein Talent zum Töpfern hat, kann bei der Nachbarin weiter unter an meiner Strasse einen Nachmittag lang schnuppern kommen.Seine Kreationen wird sie für ihn brennen. Ein Drittel der Familie ist dieses Jahr im Ausland. Dort habe ich meine Gaben hin liefern lassen – leider keine Naturalien, dafür etwas für den ganzen Familienzweig. Jetzt bin ich noch auf der Suche nach einem natürlichen Geschenk für die Teenagerin und für die junge Erwachsene. Etwas kaufen kann schliesslich jede/r.
Ich bin sehr dankbar, sind bei uns alle gesund, lieben wir einander (mit gelegentlichen Ausnahmen) und dürfen wir auch dieses Jahr das Fest des wiederkehrenden Lichts in Frieden und Sicherheit geniessen. Dass wir dabei auch den Menschen gedenken, denen es nicht so gut geht wie uns, gehört ebenso dazu, wie das hoffentlich gelungene Essen (ich bin dieses Jahr die Köchin) und vor allem die Freude am Zusammensein.
Ich wünsche Ihnen erholsame Feiertage!
   Ihre
   Susanne G. Seiler

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es gibt so wunderweisse nächte

Es gibt so wunderweisse Nächte,
Drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert manchen Stern so lind,
Als ob er fromme Hirten brächte
Zu einem neuem Jesuskind.

Weit wie mit dichtem Diamantenstaube
Bestreut, erscheinen Flur und Flut,
Und in die Herzen, traumgemut,
Steigt ein kapellenloser Glaube,
Der leise seine Wunder tut.

   Rainer Maria Rilke

november 2022 – goodnews editorial

wokeness

Viele von Ihnen sind zu jung, um zu wissen, was in den aufgeheizten, revolutionären Sechzigern und Siebzigern für raue Töne herrschten. Man sah sich als Kämpfer, gewisse leider auch als Terroristin und das im Namen einer Revolution, die so nie stattfand. Unsere Revolution war kultureller Natur, doch das sah man erst Jahre später. In der Psychologie waren Encounter-Gruppen populär, wo die Leute sich anschrien und beschimpften. Hauptsache Konfrontation und raus mit den Gefühlen! Echt sein, ohne aufgesetzte soziale Maske, die damals einiges rigider war als heute, das muss man schon sagen.
Vergleiche ich diesen Umgang mit dem, was ich kürzlich beim Arzt hörte, muss ich laut lachen. Sagte die eine Praxisgehilfin zur anderen: «Könntest du dir vielleicht vorstellen, morgen eine Stunde früher zur Arbeit kommen?» Empfindlichkeiten konnten wir uns nicht leisten.
Ich muss anderen auch Unangenehmes zumuten und direkt kommunizieren können, ohne sie anzugreifen oder einen fordernden Ton anzuschlagen, wie es damals in Büros und Werkstätten gang und gäbe war. Und diese müssen bereit sein, sich etwas sagen zu sagen, ohne gleich im nächsten Schmollwinkel zu verschwinden. Es ist gut, dass wir seit den wilden Hippie- & Revoluzzerjahren in uns gegangen sind und mehr Rücksicht aufeinander und auch auf andere Religionen, Rassen, Ethnien und Kulturen nehmen. Diese gehören längst zu uns, auch im letzten Krachen, wie ich immer wieder interessiert feststelle. Ich mag die multikulturelle Gesellschaft, sie bereichert unser Leben, und wenn wir dauernd zu den unterschiedlichsten Zwecken ins Ausland fahren, sehe ich keinen Grund, warum das Ausland nicht auch zu uns kommen sollte.
Nun gibt es aber Leute, die sich über andere erhaben fühlen. Denn siehe da, sie wissen was richtig ist, was man glauben soll, was sich gehört und was guter Geschmack bedeutet. Witze über andere Nationalitäten oder Religionen? Pfui! In irgendeiner Form blankziehen? O mein Gott! Alles muss verschleiert werden, ausser muslimische Frauen. Aus Bewunderung oder Ignoranz Werte und Ausdrucksweisen anderer Kulturen übernehmen? Sicher nicht! Wir halten hier die Werte rein. Keine Vermischung bitte oder du wirst gecancelt! Wenn ich meinem sardischen Nachbarn mit einem Augenzwinkern einen Italienwitz erzähle, ist das kein Schäkern mehr, sondern ich beleidige seine Werte, sein Land, seine Integrität. Dasselbe gilt für die leidige Dreadlocks-Debatte. Vielleicht wissen wenigstens inzwischen die meisten, dass es keine «Rastazöpfe» sind. Und was ist mit Winnetou? Selbstverständlich bin ich für eine bessere Repräsentation von Minderheiten im Film und anderswo. Aber gleich das Kind mit dem Badewasser ausschütten? Kinder sollen nach wie vor Tom Sawyer lesen dürfen (die frühen Globi-Bücher weniger). Neger war früher ein gängiges Wort. Wegen Apartheid und Rassismus empfinden schwarze Menschen diese Bezeichnung als despektierlich. Andere Menschen beschimpfen ist immer out. Das muss man Kindern erklären.
Gesunder Menschenverstand ist angesagt, will man wissen, was man seinen Nachbarn und Mitbürgerinnen zumuten kann. Sich an selbsternannte Moralapostel halten oder seine Meinung nur in den sozialen Medien bilden, wo irgendwelche Würstchen und Hasser sich zu trauriger Berühmtheit trollen, ist keine Option.
Übrigens suche ich 2.2 Millionen Franken für das schmale Haus am Spalenberg in Basel, im dem Dieter Hagenbach, der die Gaia Media Stiftung ins Leben rief, viele Jahre lebte. Wir würden daraus gerne eine LSD-Museum machen. Hat jemand Geld und Lust?

  Ihre
   Susanne G. Seiler

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allzeit glücklich

Manchmal ein bisschen träumen
Und immer ein bisschen hoffen
So blieb zu seligen Räumen
Mir allzeit ein Türchen offen

   Ernst Goll

oktober 2022 – goodnews editorial

traurige nachrichten

Mit Schock und Trauer haben wir vernommen, dass Christian Rätsch (1957-2022) am 17.September gestorben ist. Er war aussergewöhnlich begabt und wird uns fehlen.

Als wir uns erstmals begegneten, war der Schamanismus ausserhalb von Fachkreisen weitgehend unbekannt und darüber hinaus suspekt, weil mit «Drogen» verbunden. Drei Tage nach seinem Tod widmet ihm das deutsche Börsenblatt ein Nachruf – Christian Rätschs Schaffen und Denken waren längst massentauglich geworden. Der bekannte Kulturanthropologe, Ethnopharmakologe, Autor und Referent hinterlässt ein umfassendes schriftliches und mündliches Werk; seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt, seine Vorträge und Fernsehinterviews haben Millionen gehört und gesehen.

Er hat mit seiner lebenslangen Partnerin Claudia Müller-Ebeling viel dafür getan, dass psychoaktive Substanzen gerade in Deutschland mehr Anerkennung finden und deren Dämonisierung einem breiteren Verständnis für die Leistung indigener Kulturen und ihrer Heilpflanzen weicht. In Vom Forscher, der auszog, das Zaubern zu lernen, berichtet Christian über seine Erlebnisse als junger Mann bei den Lacandonen, einer kleinen Gruppe von Mayas im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, deren Sprache und Heilrituale er lernte und studierte. Mit der Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen – Band 2. (mit Co-Autor Markus Berger), dem zweiten Teil des mit Spannung erwarteten, international anerkannten Standardwerks auf diesem Gebiet, das kurz vor seinem Tod erschien, hat Christian sein Lebenswerk abgeschlossen. Es umfasst und definiert eine ganze Ära psychedelischen Schaffens.

Als Mensch faszinierte der langhaarige Akademiker mit einer ihm eigenen Mischung aus Distanz und Freundlichkeit. Gestorben ist er an einem vernachlässigten Magengeschwür. Er wurde fünfundsechzig Jahre alt.

Ebenfalls verloren haben wir am 25.Juli Yatra Barbosa. Die brasilianische Musikerin und Ayahuasca-Aktivistin, Patin der Mãe D’Agua Tribe und Mitbegründerin des sogenannten Eagle-Condor Festivals in Alto Paraíso de Golás wirkte und lebte über längere Zeit in Amsterdam, ehe sie in ihr Heimatland zurückkehrte. Sie starb mit einundachtzig Jahren an Herzversagen.

Ihre
   Susanne G. Seiler

P.S. Sie finden uns jeden Donnerstagnachmittag von 14 – 18 Uhr in der Gaia Lounge, Hochstrasse 70 in Basel (Nähe Hauptbahnhof Basel SBB, Haltestelle Peter Merian). Herzlich willkommen!


das urteil

Aug um Auge, Zahn um Zahn,
zu Urteilen – ein Menschheitswahn.
Mit der Waagschale in Deiner Hand,
betrittst Du des Nachbarn Seelenland.
Wer sind wir? Muss ich fragen.
Dass wir ein Urteil wagen,
über jedes noch so kleine Sein,
bis uns trifft der eigene Stein?
   Sandra Koschate

september 2022 – goodnews editorial

gesundschrumpfen

Wie im chinesischen Gleichnis vom Bauern, der seine Pferde verliert, aber das Leben seines Sohnes gewinnt (und am Ende auch die Pferde zurückbekommt), können negative Ereignisse zu positiven Ergebnissen führen.
Was heisst das bezogen auf die Energiekrise, (dem Bevölkerungswachstum, der Massentierhaltung, der Überdüngung unserer Böden)? Erstere spitzt sich zu seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Ein positives Ergebnis, das aus dieser schlimmen Situation hervorgeht, ist die grosse Solidarität mit der Ukraine. Helfen zu können, hat eine befreiende Wirkung und gibt uns die Möglichkeit, uns gegen das zu wehren, was uns widerfährt. In diesem Winter werden wir vielleicht auf unseren Komfort verzichten müssen. Werden wir dann noch hinter der Ukraine stehen? Die Zerstörung, das Töten, das Leiden und die Grausamkeiten dieses Krieges müssen ein Ende haben! Aber zu welchem Preis?
Nach der Ölkrise, 1974-75, haben wir unsere Wirtschaft von Ballast befreit. Im Wirtschaftslexikon heisst es: «Gesundschrumpfung nennt man Bemühungen, den Geschäftsumfang einer Unternehmung auf ein bestimmtes geplantes Mass zu vermindern.» Darum geht es auch heute. Nicht nur wegen des Sparpotenzials der Gesundschrumpfung, die zwar etwas Einsicht erfordert, aber nicht schwer umzusetzen ist, sondern weil wir erkannt haben, dass das «geplante Mass» längst verloren gegangen ist. Wir haben einfach nie genug bekommen.
Aber das ist jetzt vorbei, auch wenn es diesen Herbst noch so viel regnet und unsere leeren Flüsse und Stauseen sich füllen! Werden wir uns wie für einen arktischen Winter anziehen müssen? Uns an Bettsocken, Wärmflaschen und Nachtmützen gewöhnen? Werden wir uns mit unserer, unserem, unsere Geliebten, mit der Katze, mit einem Buch oder mit allen und allem gleichzeitig ins Schlafzimmer zurückziehen müssen, anstatt vor dem Fernseher zu frösteln? Wer weiss…
Um die schwierigen Zeiten zu überstehen, wollen wir in Bewegung bleiben und uns so viel wie möglich im Freien aufhalten. Die Natur bietet zu jeder Jahreszeit ihre Schönheit und Heilkraft an, damit wir uns erholen und stärken und ihre herrliche Pracht geniessen. Was die städtische Umwelt betrifft, so haben sich noch nie so viele Menschen gewünscht, dass der öffentliche Raum grüner, natürlicher und nachhaltiger wird. Und noch nie wurden so viele – private und öffentliche – Schritte unternommen, um diesen Wunsch auszudrücken und zu erfüllen!
Ihre
   Susanne G. Seiler

P.S. Die Psychedelic Salons sind zurück. Sie finden uns auch jeden Donnerstagnachmittag von 14 – 18 Uhr in der Gaia Lounge, Hochstrasse 70 in Basel (Nähe Hauptbahnhof Basel SBB, Haltestelle Peter Merian). Willkommen!


hör nicht auf, so lieb zu sein

Hör nicht auf, so lieb zu sein
und zu denken und zu träumen.
Hör nicht auf, so quietschvergnügt
dem Leben zu vertrauen.
Hör nicht auf, dankbar zu sein,
für das dir geschenkte Leben.
Nichts ist selbstverständlich,
nichts vergeblich.
   Hanna Schnyders

august 2022 – goodnews editorial

vergänglichkeit

Am 9. Juli ist Ann Shulgin gestorben. Sie war sechsundneunzig Jahre alt. In Neuseeland geboren, heiratete die Schriftstellerin und Psychologin 1978 den visionären Chemiker Alexander ‚Sasha‘ Shulgin. Ann war eine grossartige Kommunikatorin und unglaublich freimütig. Sie war glamourös und unkonventionell, eine mutige und motivierte Frau, jemand, zu dem man aufschauen konnte. Ich hatte das Vergnügen, sie am Esalen-Institut kennenzulernen, vorgestellt von Rupert Sheldrake. Da das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, habe ich keine Spur vom diesem denkwürdigen 17. Juni 1985 gefunden, Sasha Shulgins 60. Geburtstag. Am frühen Abend sprach Terence McKenna vor versammelter Belegschaft. Während er einige seiner Ideen vorstellte, sassen Claudio Naranjo, Andrew Weil, Rick Doblin, Rupert Sheldrake, Jill Purce, Kursteilnehmer und Mitarbeiterinnen auf Kissen am Boden. Die einzigen beiden Stühle im Raum, extra herbeigetragen, wurden von den lächelnden Schulgins besetzt. Als alle fertig geredet hatten, assen wir einen Happen in der Küche von Esalens Grossem Haus. Später blies Sasha die Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen aus und teilte ihn mit allen. Danach holte er seine Geige hervor und brachte uns unter begeistertem Applaus ein Ständchen. Die abenteuerliche Geschichte des Ehepaars Shulgin finden Sie in ihren berühmten Büchern PIKHAL und TIKHAL. Mögen die beiden im Geist vereint sein und in Frieden ruhen.
Vor sechs Jahren, am 17. August 2016, ist Dieter Hagenbach gestorben, Initiant und Präsident der Gaia Media Stiftung. Ein trauriger Tag. Aus dem Chaos geboren, ist Gaia eine chthonische Urgöttin. Sie bringt alles hervor, was auf der Erde wächst und sich auf ihr und in den Lüften bewegt. Laut griechischer Mythologie hatte sie mit einer Reihe von Männern mindestens fünfunddreissig Kinder. Diese Mutter aller Mütter schüttet über Äonen hinweg ihren Segen über uns aus, aber sie wehrt sich auch immer wieder, wenn ihre Gesetze nicht beachtet werden. Auf der Seite von Gaia zu stehen und ihrer Weisheit Ausdruck zu verleihen, war eines von Dieters Stiftungszielen. Das andere war, das Bewusstsein um die vielfältigen Möglichkeiten des Geistes zu verbreiten und über Substanzen zu informieren, die uns einen Weg zu mehr Einklang mit unserer eigenen Natur zeigen.
Vor fünf stürmischen Jahren bot ich an, Dieters Newsletter am Leben zu erhalten. Dieters im April 2021 ebenfalls verstorbener Nachfolger, Lucius Werthmüller, machte mit unserem Team aus Dieters goodnewsletter die gaia goodnews. Seinen Ideen blieben und bleiben wir treu. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen von Ihnen bedanken, die unsere Arbeit in den letzten fünf Jahren gewürdigt und unterstützt haben, sei es per Mail, als Leserinnen, durch ein Abonnement und/oder als Sponsoren und Gönnerinnen.
Herzlich Ihre
  Susanne G. Seiler

P.S. Die psychedelischen Salons sind in September zurück, Bis dann sind wir jeden Donnerstag von 14 – 18 h in der Gaia Lounge in Basel an der Hochstrasse 80 anzutreffen. Herzlich willkommen!


aller tage neuer anfang

Abgestreifter Traum nach langer Nacht
Was bleibt, ich werde gehn
Nun erfrischt und neuer kräftger Atem
Hilft diese Welt ganz neu zu sehen.

 Christian Parisius

juli 2022 – goodnews editorial

engel und dämonen

Obwohl sie den Eigenschaften, die wir (insgesamt) anstreben, Gestalt verleihen, glaube ich nicht an Zufalls-Kontroll-Agenten (John Lilly) oder Engel. Es ist ein schöner Gedanke, aber ich sehe keine Anzeichen dafür, dass uns, einer Spezies genialer Versager, diese erhabenen Wesen zur Seite stünden. Wären sie unsere Helfer, würden wir dann in diesem moralischen, ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Schlamassel stecken? Oder könnte es vielleicht sein, dass unsere Missgeschicke auf Engel zurückzuführen sein, die uns hassen, auf Dämonen, auch bekannt als die niederen Regungen des Menschen?
Die Vorstellung, von Wesen aus anderen Dimensionen unterstützt oder zu meinem Guten manipuliert zu werden, behagt mir nicht. Meine Mutter benutzte den Allmächtigen gerne, um ihre Regeln durchzusetzen: God is watching you!  Mit fünf habe ich den alten Spielverderber herausgefordert und abgelehnt. Hatte er nichts Dringenderes zu tun, als sich mit mir abzugeben? Als Teenager erlebte ich, wie die Kirche mich als Mädchen und als Frau für minderwertig befand, und weigerte mich, mich als Dulderin mit einem Leben voller Schmerz und Leid abzufinden. Diese Gefühle können und sollten nicht vermieden oder unterdrückt werden. Aber als Religion? Die Idee von Gott als Liebe wird von unseren religiösen Institutionen nicht sehr überzeugend dargestellt. Wie Karl Marx gesagt haben soll: Wenn Christen Christen wären, würden wir es merken.
Ich glaube, das Universum ist überwältigend intelligent, alle meine Sinne und Gefühle sagen mir das, aber es ist ihm egal, ob ich eine alkoholselige Affäre mit dem Mann meiner Nachbarin hatte, auch wenn es eine ausgesprochen dumme Idee gewesen sein mag. Der Kosmos greift auf die bedächtige und unpersönliche Weise in unser kollektives Leben ein, die wir Evolution nennen.
Mit Geistern verkehren, das tu ich. Als Kind sah ich hinter jedem Busch Feen, Elfen und Zwerge. Auch ein paar Pflanzengeistern bin ich schon begegnet und von Tieren lass ich mich genre inspirieren. Sind sie meine äusseren oder meine inneren Führer? Und woher kommen Visionen und symbolische Botschaften? Etwa vom Bodensatz der Wirklichkeit?
Cool bleiben!
Susanne G. Seiler

P.S. Die psychedelischen Salons sind in September zurück, Bis dann sind wir jeden Donnerstag von 14 – 18 h in der Gaia Lounge in Basel an der Hochstrasse 80 anzutreffen. Herzlich willkommen!


hab oft im kreise der lieben

Hab oft im Kreise der Lieben
im duftenden Gras geruht
Und mir ein Liedchen gesungen,
und alles war hübsch und gut.
  Aldalbert von Chamisso

juni 2022 – goodnews editorial

zickenkrieg

Als ich jung war, gab es im Wesentlichen vier sexuelle Orientierungen. Man war ein Mann, eine Frau, ein Homosexueller oder eine Lesbe. Als Untervariante gab es Menschen, die beide Geschlechter liebten. Unter den Homosexuellen waren welche, die sich gerne als Frauen kleideten; gewisse Frauen trugen Anzüge. Das waren Transvestiten. Während der Olympischen Spiele in den fünfziger bis achtziger Jahren schienen bullig aussehende Frauen aus den Ländern des Eisernen Vorhangs einen Vorteil gegenüber weiblicheren Konkurrentinnen zu haben und wurden getestet. Wenn sie genügend weibliche Hormone aufwiesen, wurden sie durchgewinkt und behielten ihre Medaillen, sonst Adieu! Auch kannte man seit der Antike den Hermaphroditen, ein Wunder, das in Federico Fellinis Satyricon (1969) einem grösseren Publikum vorgeführt wurde. Man schätzt, dass etwa eines von 83’000 Kindern sowohl mit einer Vagina als auch mit einem Penis geboren wird. Sobald sie die Mittel dazu hatte, bestimme die Gynäkologie das Geschlecht dieser Kinder. Glücklicherweise scheint diese anmassende Praxis ein Auslaufmodell zu sein. Es gibt eine beträchtliche Anzahl von bekannten Fällen von Hermaphroditen, die geboren haben. Bei uns kann jeder und jede wählen, ob sie ein Mann oder eine Frau sein wollen. Oder eben beides. Um das Geschlecht wechseln, nimmt man vielerlei Hormonpräparate und unterzieht sich invasiven Operationen; man muss zum Psychiater, und es gibt viel Papierkram zu erledigen. Niemand würde sein Geschlecht aus einer Laune heraus ändern, dazu ist es ein zu schmerzhafter und langwieriger Prozess. Dass ein ehemaliger Mann im Sport einen Vorteil gegenüber anderen Frauen haben soll, scheint willkürlich. Erfüllen die Hormone ihre Aufgabe denn nicht? Wenn sie Brüste spriessen lassen können, können sie dann nicht auch ein paar läppische Muskeln zurückbilden? Gut durchtrainierte Cis-Frauen sind zu Recht stolz auf ihre körperliche Stärke. Warum also sollten Transgender-Frauen von weiblichen Sportmannschaften ausgeschlossen werden? Und wenn wir schon dabei sind: Es ist Ausgrenzung pur, dass die Paralympics und die Invictus Games als Kategorie nicht Teil der «normalen» Olympischen Spiele sind. Wir sitzen alle im selben Boot.
Ich hoffe, Sie geniessen Sie, trotz schwerer Zeiten, das kommende Sommerwetter.

Susanne G. Seiler

P.S. Der 2. Psychedelische Salon in Basel brachte tolle Gäste, jung und alt. Unsere Lounge ist immer noch donnerstags von 14-18 Uhr geöffnet, mit einer zunehmenden Anzahl von Abendprogrammen. Herzlich willkommen!!


grün lesen

dass man ist
dass man gewesen ist
hier war
oder hätte sein können
ein grund für etwas
eine decke für etwas
eine nach der man
sich streckt decke
die zudeckt eine
verdeckt
ein fell
für alle fälle
grün
durch das
der wind geht
und liest

Doris Runge

mai 2022 – goodnews editorial

die zukunft der psychedelik

Psychedelika sind in aller Munde; ihr Heilpotential findet mittlerweile viel Anerkennung, doch schon droht der grosse Ausverkauf. Allein 2021 wurden 1,8 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung und Herstellung von Psychedelika wie Psilocybin, MDMA, LSD, Ayahuasca und Ketamin gepumpt, bis Ende 2024 soll es das Doppelte sein. Seit dem Bitcoin gab es keinen derartigen Hype mehr. Erste Firmen sind schon wieder aus dem Rennen, andere erleben an der Börse Berg- und Talfahrten. Keiner weiss so richtig, wohin die Reise führt, aber allen ist klar, dass sich hier ein enormer Markt auftut, getragen von Millionen Menschen weltweit, die unter Depressionen und andere schwer zu behandelnden psychischen Störungen leiden. Dabei gehen nicht alle gleich vor. Manche Firmen halten sich weitgehend an die Natur und wollen den indigenen Gesellschaften, deren Wissen sie sich zu Eigen machen, dafür kompensieren, doch im Allgemeinen man ist immer ein Molekül von einem neuen Patent entfernt, ausser bei MDMA, wo MAPS, die ‘Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies, seit Jahren mit einem alten Patent gute Arbeit leistet. Gerade bei Depressionen scheint die Verlockung gross, ein Mittel zu schaffen, das dem Chemismus von Psychedelika entspricht, aber auf Jahre hinaus eingenommen werden kann. Kein Wunder möchten viele dem Trip den Trip nehmen. Ohne Katharsis keine Heilung? Egal, der Ausgang ist zu unsicher, nicht replizierbar. Bei der Behandlung soll alles klinisch messbar und auch Set und Setting gleichbleibend sein. Immer die gleichen Möbel und der gleiche Blumentopf! Therapeutische Begleiterinnen (Trip Sitters) gehen nach Skript vor. Patienten werden sorgfältig ausgewählt, nur die wenigsten aufgenommen; wehe da zeigt eine/r Eigeninitiative oder scheint ‘schwierig’ zu sein. Es geht um die Zulassung! Und wo sollen die Abgewiesenen hin? Sie bleiben im besten Fall traditionellen Heilern und selbständig agierenden psychedelischen Therapeuten überlassen. Doch wir alle, die Psychedelika nehmen oder genommen haben, stehen in der Pflicht. Wir müssen Verantwortung übernehmen, Mut und Demut zu zeigen und für andere da sein. Die psychedelische Community muss dafür kämpfen, dass Psychedelika auch für gesunde Menschen legal zugänglich werden, sowie für alle, die Hilfe brauchen. Wir bleiben dran.

Mit Frühlingsgruss
Susanne G. Seiler

P.S. Wir haben den Bicycle Day und unseren ersten psychedelischen Salon sehr genossen. Von nun an ist unsere Lounge immer donnerstags von 14-18 Uhr geöffnet, öfters auch mit einem anschliessenden Abendprogramm. Herzlich willkommen!


steilküste

schon bald ist sonntag
in den klippen verfangen sich
die wölfe so klingt das meer das uns trifft
das rollen der steine von vorn ein paar stiefel
im fels wie sich die wogen waschen an der luft
im laufe bläht der wind das cape den raum
für dein kleines gedächtnis gelb
als sie rannten kinder die ihre zungen
in den regen strecken meer salz das heulen
des winds zu erlernen von vorn
mit der gischt kommt die liebe rau
in all ihren alten sprachen.

Anja Kampmann

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