Schweizer Halluzinogene

von Nicolas Langlitz

– Wer hat’s erfunden?
– Die Schweizer!
– Wer genau?
– …
Schweizer Kräuterzucker-Werbespot

Noch bevor alle Elektroden zur Ableitung meiner Hirnströme angebracht sind, sackt mein Kreislauf weg und ich stürze einen tief schwarzen Tunnel hinunter ins Leere. An den Wänden des Tunnels sehe ich einzelne farbige Flecken und Strukturen. Ich fühle Entsetzen und vollkommene Ohnmacht.
So begann meine Feldforschung beim Stamm der Schweizer Halluzinogenforscher. Im Sommer 2005 nahm ich an einem Psilocybin-Experiment der neurowissenschaftlichen Arbeitsgruppe Neuropsychopharmacology and Brain Imaging an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Burghölzli) teil. Diese von dem Mediziner Franz Vollenweider gegründete Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit etwa fünfzehn Jahren mit der neuropsychopharmakologischen Erforschung der Halluzinogene. Der dort tätige amerikanische Forscher Rael Cahn und sein Schweizer Kollege Michael Kometer hatten mich eingeladen, an ihrer Vergleichsstudie zu den durch Psilocybin und Meditation verursachten Hirnstromveränderungen teilzunehmen. Bei ihren Untersuchungen geht es um die elektroenzephalographische Darstellung jener neurophysiologischen Prozesse, die dem subjektiven Erleben im Psilocybinrausch zugrunde liegen. Cahn und Kometer interessieren sich insbesondere für Zustände von Selbstentgrenzung, wie sie auch aus den Beschreibungen mystischer Erfahrungen bekannt sind.
Jene erschreckende Episode zu Anfang des Experiments dauerte nur wenige Augenblicke. Die häufig mit Einsetzen der Psilocybinwirkung auftretenden vegetativen Symptome besserten sich bereits nach einem Glas Wasser und die Messung begann, sobald die übrigen EEG-Elektroden an meinem Kopf befestigt waren. Während der Trip in den nächsten Stunden seinen Lauf nimmt, sitze ich in einem hohen Ledersessel in einer verdunkelten und schallisolierten Kammer, welche die Experimentatoren durch eine Glasscheibe zu meiner Rechten einsehen können. Bei geschlossenen Augen tun sich hohe mit bewegten geometrischen Mustern ausgekleidete Höhlen vor mir auf. Eigenartige Geräusche – in Schwingung geratenem Wellblech und von weit her kommenden Funksprüchen ähnlich – schwirren durch den Raum. Was ich wahrnehme, erscheint mir fremdartig – eher outer space als mein eigenes Innenleben. Bei besonderen Vorkommnissen bin ich gehalten, eine Taste auf dem vor mir stehenden Computer zu drücken und das Erlebte über die Sprechanlage zu Protokoll zu geben. Später würden Cahn und Kometer versuchen, in ihren Aufzeichnungen meiner Hirnströme die Korrelate zu diesen Berichten zu finden. In einem zweiten Teil des Experiments ist eine ganze Batterie neuropsychologischer Tests am Computer zu absolvieren. Auf diese Weise werden substanzinduzierte Veränderungen in der Aufmerksamkeit, im Arbeitsgedächtnis und in den Wahrnehmungsfunktionen untersucht. In schneller Folge blitzen Bilder auf dem Bildschirm auf, worauf ich mit dem Drücken verschiedener Tasten reagieren soll. Es fällt mir schwer bei der Sache zu bleiben, ich mache Fehler, fühle mich überfordert. Zudem werde ich immer wieder über den Lautsprecher ermahnt, weniger zu blinzeln und die sich in der einen oder anderen Gesichtspartie aufbauende Muskelspannung zu reduzieren, weil beides die EEG-Messung stört. Mystische Erfahrungen mache ich keine. Als ich nach überstandenem Experiment im Bürotrakt mit dem Pharmakologen Felix Hasler ins Gespräch komme, äussere ich die Hoffnung, an diesem ersten von insgesamt drei Versuchstagen bereits die Hochdosis erhalten zu haben. Schlimmer kann es doch eigentlich nicht kommen, meine ich, woraufhin Hasler ausruft: «Da wäre ich mir nicht so sicher! Wir knausern nicht mit der Dosierung. Du bist hier in der Schweiz! Wir haben die Halluzinogene praktisch erfunden!» Diesen Schweizer Halluzinogenforscher-Machismo aus dem Munde eines Liechtensteiners möchte ich zum Anlass nehmen, der Frage nachzugehen: Wie schweizerisch ist die Schweizer Halluzinogenforschung?

Im Epizentrum der globalen Halluzinogenforschung
Die Schweiz fungiert gegenwärtig als globales Zentrum der humanexperimentellen Halluzinogenforschung. Seit den neunziger Jahren hat sich dort die Arbeit mit diesen Substanzen vor allem in zwei Bereichen abgespielt: Die Schweizer Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie (SÄPT) nutzte zwischen 1988 und 1993 eine dann ausgelaufene Ausnahmebewilligung zur psychotherapeutischen Verwendung verschiedener Halluzinogene. Etwa zur selben Zeit begann Vollenweider damit, sein Labor am Burghölzli aufzubauen. Ich interessiere mich für diese Forschungslandschaft als Wissenschaftsanthropologe. Die Teilnahme an dem Versuch von Cahn und Kometer hatte mir Gelegenheit gegeben, Vollenweiders Arbeitsgruppe kennen zu lernen und von ihren Mitgliedern als vertrauenswürdiger Gesprächspartner anerkannt zu werden. Seit kurzem praktiziere ich dort, was der Doyen der amerikanischen Kulturanthropologie Clifford Geertz einmal als deep hanging out bezeichnet hat. Ich beobachte die Wissenschaftler bei ihrer täglichen Arbeit. Die Entscheidung, Vollenweiders Labor zum Schwerpunkt meiner Feldforschung zu machen, fiel leicht, insofern es vor allem dessen Verdienst ist, dass die Schweiz heute eine herausragende Rolle in der Halluzinogenforschung spielt.
Die etwa zehnköpfige, sich überwiegend aus Männern zusammensetzende Zürcher Arbeitsgruppe verfolgt ausser dem Projekt von Cahn und Kometer gegenwärtig noch eine ganze Reihe anderer Projekte mit recht unterschiedlichen Fragestellungen. Um nur einige zu nennen: Der Arzt David Andel verwendet Ketamin zur Modellierung bestimmter Aspekte der Schizophrenie. Er sucht dabei nach Hinweisen darauf, welche Rolle der auf serotonergen Neuronen sitzende 5-HT2A-Rezeptor beim Entstehen der für die Schizophrenie typischen Aufmerksamkeitsstörungen spielt und wie diese durch antipsychotische Medikamente behoben werden können. Felix Hasler und der Pharmakopsychologe Boris Quednow stehen im Begriff eine nuklearmedizinische Studie zu beginnen, bei welcher die Dynamik des 5-HT2A-Rezeptors nach dessen Stimulation durch Psilocybin untersucht wird. Hintergrund der Erforschung dieses Mechanismus ist dessen mögliche Relevanz für die psychopharmakologische Behandlung von Zwangsstörungen mit Psilocybin und ähnlich wirkenden Stoffen. Ein drittes, sich gegenwärtig noch in Planung befindliches Projekt von Erich Studerus soll unter anderem den Einfluss von Psilocybin auf die zur Lösung von Problemen erforderliche Kreativität prüfen1. Was bei dieser Auflistung von Forschungsprojekten auffällt, ist das breite Spektrum von Fragestellungen und Hintergrundannahmen bezüglich der Wirkungen der Halluzinogene. Einmal dient das Psilocybin zur künstlichen Erzeugung schizophrenieähnlicher neurokognitiver Defizite in gesunden Versuchspersonen, ein andermal schaut man, ob es bei der Suche nach Problemlösungen erfindungsreicher macht. Während einige Studien auf der in den zwanziger Jahren eingeführten Verwendung des Halluzinogenrausches als Modell für Psychosen basieren2, wird das Psilocybin in einer anderen Untersuchung als potentielles Heilmittel geprüft (und zwar nicht wie in der psycholytischen Therapie als psychotherapeutisches Hilfsmittel sondern als Pharmakotherapeutikum). Oder es wird in der Hoffnung verabreicht, auf diese Weise etwas über die Hirnphysiologie mystischer Erfahrungen zu lernen. Es gibt viel zu sagen über die scheinbaren logischen Widersprüche zwischen diesen verschiedenen Blickwinkeln und Ansätzen. Ebensoviel liesse sich über die ihnen gemeinsam zugrunde liegenden Annahmen schreiben. Hier möchte ich mich aber mit der Feststellung begnügen, dass in keiner anderen über Halluzinogene arbeitenden Forschungsgruppe so unterschiedliche Perspektiven zusammenfinden und sich in Form experimenteller Arbeiten materialisieren.
Vielfalt provoziert auch Spannungen. Diese lassen sich beinahe täglich in Form von freundschaftlichen Sticheleien und ernsthaften, wenn auch häufig mit ironischen Untertönen geführten Diskussionen beobachten. Was sich oftmals an unterschiedlichen Bewertungen von Drogenwirkungen manifestiert, sind weltanschauliche Konflikte, die nicht alleine die Halluzinogenforscher entzweien. Da stossen Biologismus («Hört doch auf! Wir sind nichts als sinnentleerte Bioautomaten!»), Psychoanalyse und Spiritualität oder naturwissenschaftlich-orientierte Schulmedizin und der Glaube an alternative Heilmethoden aufeinander. Diese Diskussionen werden auffallend egalitär geführt. Wo es um Werte geht, scheinen die Meinungen von Doktoranden, Forschungsassistenten und Laborleiter gleich viel zu gelten.
In der in den letzten Jahren im deutschsprachigen Feuilleton geführten Debatte über die Neurowissenschaften wurde den Hirnforschern immer wieder von philosophischer Seite vorgeworfen, sie verträten einen kruden Naturalismus, der den Menschen auf seine Hirnchemie reduziere3. Der britische Soziologe Nikolas Rose hat die im Laufe des 20. Jahrhunderts stattfindende Verinnerlichung eines solchen neurowissenschaftlich geprägten Menschenbildes beschrieben und das aus diesem Prozess hervorgehende Selbstverständnis mit dem Begriff der neurochemical selves bezeichnet4. Man dürfte demzufolge erwarten, dem Prototyp solcher neurochemical selves unter den Forschern in einem neuropsychopharmakologischen Labor zu begegnen. Die Wirklichkeit ist jedoch komplexer – zumindest im Falle von Vollenweiders Arbeitsgruppe. Franz Vollenweider selbst hat eine orthodoxe freudianische Lehranalyse absolviert und ist der Psychoanalyse nach wie vor zugetan. Auch unter den Doktoranden und Postdocs verbindet sich das neurowissenschaftlich geprägte Selbstbild (das in zahlreichen Wendungen zum Ausdruck kommt: von der Charakterisierung eines Musikstücks als «serotonerg» bis zu der Bemerkung, einem Kollegen mit schlecht ausgebildetem Orientierungssinn «hat’s wohl den Hippocampus durchgebraten») auf unterschiedliche Weisen mit ganz anderen Perspektiven: von der Psychoanalyse über transpersonale Psychologie und Schamanismus bis hin zum Buddhismus. Dabei werden diese patchwork-Identitäten, anders als mancher Philosoph meinen könnte, durchaus nicht als widerspruchsvoll erlebt.
Widersprüche und Frustrationen entstehen aber sehr wohl in der Auseinandersetzung mit den Anforderungen wissenschaftlicher Forschung. Moderne Wissenschaft ist vor allem durch methodisches Vorgehen gekennzeichnet. Die Methode impliziert ein gegenüber älteren Wahrheitspraktiken neuartiges Verhältnis zwischen Subjekt und Wahrheit. Um an die Wahrheit zu gelangen, bedarf es nicht länger einer ethischen Arbeit am Selbst. Auch dient die Forschung nicht länger der Erkenntnis des einzelnen Forschenden. Während der antike Philosoph nach der Wahrheit gefragt hat, weil sie direkte Konsequenzen für seine Lebensführung zu haben schien, so sind die in einem Experiment gewonnenen Erkenntnisse für einen Forscher heute selten von Belang für dessen ausserberufliche Existenz. Normalerweise bieten sie nicht einmal umfassende Antworten auf die weiter gefassten Fragen, welche seine Disziplin zu lösen versucht. Das Erkenntnissubjekt ist ein überindividuelles geworden. Erst wenn man die zahllosen Puzzleteile, welche eine Vielzahl von Forschern über Generationen hinweg produziert hat, zusammendenkt, beginnt sich eine bedeutsame Antwort abzuzeichnen. Dem einzelnen Wissenschaftler bleibt diese Befriedigung meistens versagt. 5
Nun scheinen die Halluzinogene – häufiger als andere Psychopharmaka – Wissenschaftler anzuziehen, die von bestimmten persönlichen als hochgradig bedeutungsvoll erlebten Erfahrungen mit veränderten Wachbewusstseinszuständen motiviert sind. Sie gehen in die Psychopharmakologie in der Hoffnung, mit deren Methoden dahinter zu kommen, was es mit diesen Erfahrungen auf sich hat. So sagt Cahn: «Ich bin vor allem (nach Zürich) gekommen, weil ich mich über alles dafür interessiert habe, die Werkzeuge der Wissenschaft zu nutzen, um zu sehen, was im Gehirn passiert, wenn jemand das deutliche Gefühl hat, mit allem eins zu sein. Diese Erfahrung, die ich in meinem eigenen Leben gemacht habe und die als Katalysator dafür gedient hat, diese Forschungsrichtung einzuschlagen, war für mich so beeindruckend und real, dass es mir wichtig erschien, sie nicht nur als rein innerliche Erfahrung in Betracht zu ziehen, sondern als Widerspiegelung von etwas Realem, von etwas, das unsere kollektive Realität betrifft.» Für den ein oder anderen mag es sich bei der psychopharmakologischen Forschung auch um eine Kompromissbildung handeln, denn nur in diesem Feld ist der Umgang mit Halluzinogenen nicht nur legal, sondern zudem eine bezahlte und anerkannte berufliche Beschäftigung. Aber der Alltag der Halluzinogenforschung besteht nicht darin, über die Erforschung veränderter Wachbewusstseinszustände das Rätsel des menschlichen Bewusstseins zu lösen. Stattdessen sind Anträge an Ethikkommissionen zu schreiben und immer wieder nachzubessern, ein ums andere Mal dieselben Messungen im Labor durchzuführen und die so produzierten Daten hinterher im Büro mittels statistischer Methoden auszuwerten. Kommen dabei schliesslich publizierbare Ergebnisse heraus, so stellen diese doch meistens nichts weiter als einen Baustein unter vielen dar, aus denen sich möglicherweise irgendwann einmal eine komplexere Theorie entwickeln lassen wird. Die ursprünglich motivierenden Sinnerfahrungen und die daraus erwachsenen Fragen bleiben im Wissenschaftsalltag auf der Strecke. Wie der Soziologe Max Weber bereits in einem 1917 gehaltenen Vortrag bemerkte: «Wer – ausser einigen grossen Kindern, wie sie sich gerade in den Naturwissenschaften finden – glaubt heute noch, dass Erkenntnisse der Astronomie oder der Biologie oder der Physik oder Chemie uns etwas über den Sinn der Welt, ja auch nur etwas darüber lehren könnten»?6 Umso höher die Erwartungen, mit denen sie das Feld der Neuropsychopharmakologie betreten haben, umso schmerzlicher ist oft das Erwachsenwerden jener «grossen Kinder», denen man – und das gar nicht selten – auch in der Halluzinogenforschung begegnet.
Was Vollenweiders Arbeitsgruppe am Burghölzli angeht, so ist bemerkenswert, das viele der dort tätigen Wissenschaftler durchaus «erwachsen» geworden sind, ohne aber – um im Bild zu bleiben – die Träume ihrer «Kindheit» ganz aufgegeben zu haben. Die Fluchtlinien sind dabei ganz unterschiedliche. Hasler verschafft sich die Befriedigung, welche das Verstehen grösserer Zusammenhänge bietet, indem er sich auch als Wissenschaftsjournalist betätigt und an einem Multimedia-Projekt arbeitet. Dieses hat verschiedene Umgangsweisen mit veränderten Wachbewusstseinszuständen zum Thema, wobei es auf publikumswirksame Vermittlung durch Zusammenschau statt auf wissenschaftliche Analyse abzielt. Cahn meditiert und pflegt so neben seiner wissenschaftlichen Untersuchung von altered states auch einen praktischen Umgang mit diesen. Damit nimmt er ein auf aktiver Arbeit an sich basierendes Selbstverhältnis ein, das dem der Methode beinahe konträr entgegensteht. Studerus hat sich privat mit veränderten Bewusstseinszuständen auseinandergesetzt, indem er luzides Träumen erlernt und an schamanistischen Ritualen in Südamerika teilgenommen hat, während sich sein Arbeitskollege Marco Benz mit der Intention als Kunstfotograf betätigt, dass seine Bilder «zu erweiterten Bewusstseinszuständen beitragen, die über den Informationsgehalt der Fotografie hinausgehen.»7 Franz Vollenweider selbst beschäftigt sich intensiv mit Bewusstseinsphilosophie und kommt immer wieder auf die Frage zurück, wie sich ein so schwierig zu erfassendes Phänomen wie das Bewusstsein mit den Instrumenten der Neurowissenschaften erforschen und wie sich philosophische Reflexionen experimentell operationalisieren lassen. Allerdings stösst er dabei immer wieder auf an die Grenzen des experimentell gegenwärtig Machbaren: «Es gibt von der Biologie her verschiedene Ansätze zur Erforschung des Bewusstseins, die auf dessen Manipulation basieren. Aber das ist sehr schwierig. Es ist einfach, Biophysik zu machen; es ist einfach Neuropharmakologie zu machen. Aber das Bewusstsein einzubinden, das ist schwierig. Aber es ist das, was ich eigentlich sehr gerne machen würde. Deshalb denken wir darüber nach, wie wir es besser tun könnten. (…) Unsere Idee war: Können wir darüber etwas mit Hilfe der Halluzinogene lernen?» Man sieht: Auch wenn sich in der Zürcher Arbeitsgruppe niemand mehr der Illusion hingibt, dass die Ergebnisse seiner experimentellen Arbeit massgebliche Konsequenzen für das eigene Dasein haben könnten, werden Wissenschaft und Lebensführung am Burghölzli heute doch nicht so streng voneinander getrennt, wie Weber es seinen deutschen Zuhörern 1917 nahe legte.
Dieser produktive Umgang mit der von vielen Wissenschaftlern geteilten Unzufriedenheit gegenüber der wissenschaftlichen Praxis wird nicht zuletzt dadurch ermöglicht, dass Franz Vollenweider seinen Mitarbeitern den nötigen Spielraum lässt. Denn auch Vollenweider weiss, dass es noch ein Leben nach der Arbeit gibt. Beides ist in der hochgradig kompetitiven Welt neurowissenschaftlicher Labors nicht ganz selbstverständlich. Ein Stück weit mag dies der Schweizer Mentalität geschuldet sein. Doch auch diese wird erst durch strukturelle Bedingungen ermöglicht. Dass Vollenweiders Labor seine herausragende Stellung in einem harten internationalen Konkurrenzkampf ohne den vielerorts üblichen Druck auf die Mitarbeiter zu behaupten vermag, liegt nicht zuletzt daran, dass es mit seiner Lokalisation in der Schweiz einen erheblichen Standortvorteil innerhalb der Halluzinogenforschung geniesst.

Der Geist von Basel zwischen Schamanismus und Chemie
Wie kommt es aber, dass die Schweiz der Halluzinogenforschung so günstige Bedingungen bietet?
Begonnen hat die Erforschung halluzinogener Substanzen unter den Eidgenossen erst mit Albert Hofmanns Entdeckung der psychoaktiven Effekte des Lysergsäurediäthylamids (LSD) im Jahre 1943, d.h. zu einer Zeit, als in den USA und Deutschland schon seit einem halben Jahrhundert Untersuchungen zu Meskalin und anderen Halluzinogenen durchgeführt wurden. Nach 1943 setzte in der Schweiz jedoch schon bald eine intensive Forschungstätigkeit ein. Die erste breit angelegte klinische Studie zu den physischen und psychischen Effekten des LSD führte Werner Stoll, ein Sohn von Hofmanns Chef, im Jahr 1947 für die Basler Firma Sandoz durch. Es folgte eine Vielzahl weiterer Untersuchungen. 1958 – lange bevor in derartigen Zusammenhängen von «Biopiraterie» die Rede sein sollte – isolierte Hofmann den Wirkstoff Psilocybin aus den in Mexiko im Rahmen von religiösen Zeremonien und magischen Heilpraktiken eingenommenen «Zauberpilzen» Psilocybe mexicana. 1960 folgte die Isolierung von Lysergsäureamid und Lysergsäurehydroxyäthylamid, der Wirkstoffe der ebenfalls in Mexiko verwendeten Ololiuqui-Samen.8 1960 gelang den Schweizern Eugster und Müller die Isolierung des für die halluzinogene Wirkung des Fliegenpilzes verantwortlichen Muscimol, womit unter anderem am Burghölzli unter der Leitung von Jules Angst experimentiert wurde.9 Die wissenschaftliche Erforschung der Halluzinogene hatte während der fünfziger Jahre auch in zahlreichen anderen Ländern Konjunktur. In der Schweiz etablierte sich vor allem ein an Grundlagenforschung orientierter Forschungsapparat rund um die Schweizer Produkte LSD, Psilocybin und Muscimol (LSD und Psilocybin wurden von Sandoz hergestellt und interessierten Forscher zur Verfügung gestellt).
Allgemeine Verschärfungen der Arzneimittelregulierungen infolge des Thalidomid-Skandals im Jahre 1961, eine Reihe von Zwischenfällen im Zusammenhang mit Halluzinogenen im Besonderen, deren Skandalisierung durch die Medien und die Assoziation dieser Substanzklasse mit der neu entstandenen counterculture, welche überkommene Normen und Lebensweisen in Frage stellte, führten dazu, dass der Gebrauch von Halluzinogenen zunehmend unter Druck geriet. Die Politisierung der Forschung wurde von Drogenenthusiasten und -gegnern gleichermassen vorangetrieben – die einen erhofften sich den pharmakologisch herbeigeführten Weltfrieden, die anderen befürchteten den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung. Ab Mitte der sechziger Jahre kam es zu einer zunehmenden Verschärfung der staatlichen Kontrollen und 1971 schliesslich zu einer von den USA forcierten und durch die UNO international geregelten Illegalisierung der Halluzinogene.10
Dieser Vereinbarung schloss sich auch die Schweiz an, obwohl sie den Vereinten Nationen erst dreissig Jahre später beitreten sollte. Allerdings unterhielt die Schweiz von Anfang an ein gespanntes Verhältnis zu der vor allem von den USA vorangetriebenen Internationalisierung der Drogenpolitik – was angesichts der Geschichte der Schweizer Aussenpolitik nicht weiter verwundern dürfte. Schon die Ratifizierung der internationalen Den Haager Opium-Konvention von 1912 liess sich erst 1925 unter starkem Druck von Seiten des Völkerbunds und der USA und nach internationalen Boykottdrohungen gegen den massiven Widerstand der Schweizer pharmazeutischen Industrie durchsetzen11. Bezüglich der 1961 verabschiedeten Single Convention on Narcotic Drugs, welche die bis heute juristisch massgebliche Diskussionsgrundlage der internationalen Drogenpolitik darstellt, bemerkt der Schweizer Historiker Jakob Tanner: «Generell kann man sagen, dass die Definitionsmacht der USA, was eine Droge ist und was nicht, sehr entscheidend ist. Gerade die Single Convention von 1961, die fast alle vorhergehenden Vereinbarungen ersetzt oder aufhebt, trägt eine ganz bestimmte Handschrift. Ich denke, dass die Schweiz selber nicht auf die Idee gekommen wäre die Opiate zu verbieten. Wahrscheinlich hätte man das auch weiterhin im Bereich von Arzneimittelverordnungen geregelt, wie man das ja auch vor dem Betäubungsmittelgesetz schon gemacht hat.»12 Es scheint als habe die Schweiz ihre Neutralität auch gegenüber der internationalen Drogenpolitik und des von den USA proklamierten War on Drugs bewahren wollen. So gewährte das Land Timothy Leary 1971 politisches Asyl, als dieser von US-Präsident Richard Nixon aufgrund seiner charismatischen Propagierung des Halluzinogenkonsums zum «gefährlichsten Mann Amerikas» erklärt und in den USA wegen Drogendelikten verfolgt wurde.13
Die Illegalisierung der Halluzinogene ging jedoch in der Schweiz wie anderswo mit einer deutlichen Erschwerung der Forschung einher.14 In den meisten Ländern hat dies um 1970 herum zu einem massiven Einbruch der Halluzinogenforschung geführt (wofür es – zumindest im Falle der Modellpsychose-Forschung – allerdings nicht nur politische, sondern auch wissenschaftliche Gründe gab). In der Schweiz ist die Forschungsaktivität auf diesem Gebiet allerdings weniger drastisch zurückgegangen als in anderen Staaten. Ein halbes Dutzend Forscher führte die Halluzinogenforschung dort auch nach dieser Zäsur fort – unter anderem am Burghölzli (z.B. Jules Angst und Adolf Dittrich).15
Als Franz Vollenweider um 1990 herum damit begann, dort sein Labor aufzubauen, um die Halluzinogenforschung mit den Mitteln der kognitiven Neurowissenschaften weiterzuführen, gab es keine ernsthaften Widerstände – weder von Seiten der Klinik, in der dieser Forschungszweig bereits auf eine ansehnliche Tradition zurückblicken konnte, noch durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG).16 Paul Jakob Dietschy, der Beamte, der Vollenweider bis vor kurzem die Zulassungen erteilt hat, hat im Interview dargelegt, dass das BAG Anträge zur «beschränkten medizinischen Anwendung» von Halluzinogenen normalerweise bewillige, insofern «der wissenschaftliche Approach gewährleistet ist und wenn neue Resultate oder noch nicht abgeklärte Fragen zu beantworten sind». Nur in vereinzelten Fällen sei die Bewilligung verweigert worden.17 Dietschys Äusserungen lassen beinahe einen gewissen Nationalstolz auf die Schweizer Drogenforschung durchscheinen: «Bei der internationalen Forschergemeinschaft stossen unsere Versuche mit Heroin oder mit Halluzinogenen auf hohes Interesse ((Paul Jakob Dietschy , Bundesamt für Gesundheit)). Früher waren die Amerikaner hier führend. Ihre Regierung hat dann aber aus politischen Überlegungen solche Forschungen nicht mehr zugelassen. (Diese Haltung beginnt sich inzwischen wieder etwas zu ändern.) Die Schweiz ist deshalb eines der wenigen Länder, in denen solche Versuche überhaupt möglich sind. Was die politische Ebene betrifft, stossen unsere Versuche (auf internationaler Ebene) auf grosse Skepsis, die man zwar nicht öffentlich, aber uns gegenüber in Diskussionen immer wieder formuliert. (…) Im übrigen lassen die internationalen Abkommen den Vertragsstaaten (aber) grosse Freiräume, was das Verhalten im eigenen Land angeht, solange nicht die Interessen anderer Länder direkt betroffen sind. Diesen ‹Freiraum› gilt es auch für die Schweiz zu nutzen.»18 Auch der Delegierte für Drogenfragen des Justizdepartements des Kantons Basel-Stadt Thomas Kessler will den Standortvorteil, den die Schweiz der Drogenforschung bietet, verteidigen: «Man muss wahnsinnig aufpassen, dass man die grossen Möglichkeiten, die in dieser Forschung liegen, nicht mit einem drogenpolitischen Hammerschlag zerschlägt. (…) Die Schweiz als Denk- und Forschungsplatz muss darauf achten, dass die Forschungsexperimente nicht in den Mühlen einer plumpen und undifferenzierten Drogenpolitik verschwinden.»19 Die Schweizer Halluzinogenforschung wird also – was zumindest aus amerikanischer Perspektive überraschen dürfte – von Seiten der Regulierungsbehörden nicht nur toleriert, sondern unterstützt. Der Vorteil, der dadurch für diese auch gegenüber den europäischen Nachbarn entsteht, könnte in den kommenden Jahren noch weiter ausgebaut werden, da die gegenwärtig stattfindende Europäisierung der Arzneimittelregulierung innerhalb der Europäischen Union möglicherweise auch eine weitere Einschränkung der Forschung mit Halluzinogenen in EU-Staaten nach sich ziehen wird.20
Dass Forscher und Firmen heute transnational agieren und in einer globalisierten Welt ihren Vorteil in von Ort zu Ort unterschiedlichen gesetzlichen Bedingungen suchen, ist in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Das Abwandern von Stammzellforschern in Staaten mit liberaleren Stammzellregelungen und die Verlagerung von beinahe 40% aller von der pharmazeutischen Industrie durchgeführten klinischen Studien in Länder wie Russland und Indien, die günstigere Konditionen als Europa und die USA bieten, wurde in den Medien immer wieder thematisiert. Eine ganz ähnliche Entwicklung ist auch in der Halluzinogenforschung zu verzeichnen. Die günstige regulatorische Situation in der Schweiz hat dazu geführt, dass Forschungen und Ressourcen dorthin verlagert werden. So fliesst ein erheblicher Anteil der Gelder des amerikanischen Heffter Research Institute in die Schweiz. Diese Institution wurde 1993 eigens zur Förderung der Halluzinogenforschung gegründet und bezieht ihre Finanzmittel von privaten Sponsoren. Diese Mittel werden an durch externe Gutachter evaluierte Antragsteller verteilt. Die von Vollenweider geleitete Zürcher Zweigstelle verwendet die von ihr auf diesem Wege eingeworbenen Fördergelder zur Finanzierung der Forschungsprojekte von Vollenweiders Arbeitsgruppe.
In begrenztem Masse gibt es auch einen transnationalen Fluss von menschlichen Ressourcen. Rael Cahn macht beispielsweise einen Ph.D. an der University of California, San Diego, bei dem Pharmakologen Mark Geyer, der die Wirkungen von Halluzinogenen an Tieren erforscht. Da der von Cahn angestrebte Vergleich zwischen Psilocybinwirkung und Meditation sich aber nicht anhand von Tiermodellen anstellen lässt und die Bewilligung humanexperimenteller Studien mit Halluzinogenen in den USA ein langwieriges Unterfangen mit ungewissem Ausgang darstellt, ist Cahn zur Durchführung seiner Untersuchungen an Vollenweiders Labor in die Schweiz gewechselt.21
Die Ironie an dem Verhältnis zwischen Amerika und der Schweizer Halluzinogenforschung besteht darin, dass die USA einerseits als jene Macht gesehen werden, die – zumeist über internationale Organisationen – versucht, die Schweiz in Richtung einer repressiveren Drogenpolitik zu drängen und die «beschränkte medizinische Anwendung» der Halluzinogene in Forschung und Therapie restriktiver zu handhaben.22 Dabei wird die Haltung der Amerikaner als irrational wahrgenommen. So erklärte der ehemalige Forschungsdirektor des Burghölzli Jules Angst: «In den USA sind die Experimente, die Herr Vollenweider macht, nicht denkbar. Die ethischen Kommissionen akzeptieren das nicht und das ist sehr stark durch Politik beeinflusst. Es ist nicht rational begründet, dass es so gefährlich sein soll. Es beruht auf Gefühlsmomenten, die irrational gegen die Forschung auf diesem Bereich sind.»23 Andererseits sind es Amerikaner, die einen Gutteil der Zürcher Forschung finanziell erst ermöglichen. So spielen die USA mehr als jedes andere Land und trotz (oder paradoxerweise gerade wegen) des Schweizer Isolationismus eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung der Möglichkeitsbedingungen und Begrenzungen der Schweizer Halluzinogenforschung.
Ob diese Situation aber so bleibt, ist abzuwarten. Die Bedingungen in den USA haben sich in den letzten Jahren ein Stück weit zugunsten der Halluzinogenforschung entwickelt, sodass dort neben zahlreichen tierexperimentellen Projekten – wenn auch in kleinem Rahmen – auch wieder humanexperimentelle Studien mit Psilocybin und anderen Halluzinogenen zugelassen worden sind. Inzwischen sind sogar Humanversuche mit LSD in Planung – die ersten seit den siebziger Jahren.

Bewusstseinsverändernde Forschung für die Zukunft
Es ist üblich, die moderne Wissenschaft als universalistisch und apolitisch darzustellen. Demzufolge sollten die oben beschriebenen wissenschaftssoziologischen Rahmenbedingungen die Inhalte der eigentlichen Forschung nicht tangieren. Mit dem Erstarken der biologischen Psychiatrie in den letzten drei Jahrzehnten hat auch die Psychiatrie (als das ansonsten den Humanwissenschaften am nächsten stehende Fach der Medizin) vermehrt Anschluss an die in den Naturwissenschaften gültigen Standards gesucht und versucht, sich aus ihrer kulturellen Verhaftung zu lösen. Die Etablierung von Franz Vollenweiders Arbeitsgruppe Neuropsychopharmacology and Brain Imaging am traditionell eher psychodynamisch orientierten Burghölzli kann als ein für diese Entwicklung repräsentativer Schritt verstanden werden. Mit der biologischen Psychiatrie hat sich auch der Gegenstand der Psychiatrie gewandelt: Ansatzpunkt therapeutischer Interventionen und Objekt wissenschaftlicher Forschung ist nicht länger der menschliche Geist, sondern das Gehirn. Dieses wird mit verschiedenen bildgebenden Verfahren sowie quantifizierbaren neuropsychologischen Tests untersucht. Die Konzentration auf basale der Informationsverarbeitung zugrunde liegende neurobiologische Prozesse, die der Mensch mit anderen Säugetieren gemein hat, erlaubt es, psychiatrische Forschung auch an Tiermodellen zu treiben. Daraus resultiert ein neues Menschenbild. Der l’homme neuronal (Jean-Pierre Changeux) erscheint durch und durch als Tier – selbst auf der Ebene des Denkens.
In den letzten Jahren ist es jedoch zumindest in bestimmten Teilbereichen der Neurowissenschaften, unter anderem in der Bewusstseinsforschung, zu einer Erneuerung des Interesses an Subjektivität gekommen.24 Man ist bemüht, mit Hilfe bildgebender Verfahren wie der Positronenemissionstomographie (PET) und der funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRT) die «neuronalen Korrelate» subjektiv erfahrener Zustände objektiv darzustellen.25 Derartige Untersuchungen lassen sich nur am Menschen durchführen, insofern (andere) Tiere nicht in der Lage sind, über ihr Erleben differenziert Auskunft zu erteilen. Während heute tierexperimentelle Forschung auch mit Halluzinogenen weder in Europa noch in den USA ein Politikum darstellt (abgesehen von der Kritik der Tierschützer natürlich26), sind die Bedingungen für Humanversuche, wie ich oben dargelegt habe, schwieriger. Indem Vollenweider die günstige politisch-administrative Situation in seiner Heimat nutzt, kann er sich humanexperimenteller Ansätze aus der neurobiologischen Bewusstseinsforschung bedienen, um halluzinogeninduzierte altered states of consciousness zu untersuchen (als Beispiel hierfür kann die eingangs beschriebene Psilocybin-Studie von Cahn dienen).27 Damit verbindet er die in der biologischen Psychiatrie inzwischen etablierten Methoden der Hirnforschung mit den am subjektiven Erleben orientierten Perspektiven der Psychoanalyse und der phänomenologischen Psychiatrie. Mit dem Aufbau seines eigenen Labors hat Vollenweider diesen Ansatz erfolgreich institutionalisieren können.
Die Auseinandersetzung mit durch Drogengebrauch herbeigeführten veränderten Wachbewusstseinszuständen ist eines der menschheitsgeschichtlich ältesten Themen, das Kulturanthropologen und –historiker bei den verschiedensten Völkern beschrieben haben. Aus dieser Perspektive liesse sich der Gebrauch von Halluzinogenen im Labor zwecks Erforschung der neurobiologischen Korrelate solcher Erfahrungen als spezifisch moderne Form des Umgangs mit solchen Bewusstseinszuständen und den diese auslösenden Substanzen verstehen. Zur Beschreibung und Quantifizierung der Erlebnisse der Studienteilnehmer bedient sich Vollenweider zweier standardisierter Fragebögen, die ebenfalls am Burghölzli entwickelt wurden: das Ich-Psychopathologie-Inventar von Christian Scharfetter und die Selbstbeurteilungsskala APZ («Aussergewöhnliche Psychische Zustände») von Adolf Dittrich. Mit beiden lassen sich Veränderungen des Ich-Erlebens, etwa die angstvolle Ich-Auflösung auf Horror Trips oder die positiv gefärbte mystische Selbstentgrenzung, erfassen und mit regional veränderten Hirnaktivitätsmustern in Verbindung bringen.28 Dabei geht Vollenweider davon aus, dass sowohl die radiologisch erfassten Hirnzustände als auch die mit Hilfe der rating scales quantifizierten Erfahrungen kulturübergreifende Gegebenheiten sind.29 Die verwendeten Methoden lassen sich auf den Zürcher Medizinstudenten ebenso anwenden wie auf einen Schamanen aus der sibirischen Tundra.
Dass über den Wert der von Vollenweider benutzten Messinstrumente innerhalb seiner scientific community debattiert wird, ist wissenschaftlicher Alltag und an sich nicht weiter bemerkenswert. Interessant ist jedoch, dass die Infragestellung seiner universalistisch formulierten Geltungsansprüche in Form von Kulturunterschieden wahrgenommen wird. So erzählt Vollenweider, wie seine amerikanische Kollegin Carol Tamminga auf einem Schizophrenie-Kongress in Santa Fe auf seinen Gebrauch der Ich-Psychopathologie nach Scharfetter und Dittrich mit Unverständnis reagiert habe. Er führt dieses Missverständnis darauf zurück, dass amerikanische Psychiater in ihrer Ausbildung kaum europäische Psychiatrie mit ihren psychoanalytischen und phänomenologischen Konzeptionen kennen lernen und zu sehr auf die Klassifikationen des von der American Psychiatric Association herausgegebenen Diagnosehandbuchs DSM-IV fixiert sind. Vollenweider grenzt sich aber nicht nur gegen das psychiatrische Establishment in den USA ab sondern auch gegen die esoterischen Tendenzen, die er in der amerikanischen Psychedelica-Szene ausmacht. Er schimpft auf jene Amerikaner, bei denen sich alles um salvation (Erlösung) drehe und die den Boden der Empirie längst verlassen haben und ihr Heil im Übersinnlichen suchen, zu dem die Halluzinogene ihnen Zugang verschaffen sollen. Wie schon im Falle des War on Drugs erscheinen die Amerikaner – diesmal allerdings in Gestalt der Drogenenthusiasten statt der Drogengegner – auch hier als irrational. Damit wird gleichzeitig – im Umkehrschluss – die eigene, d.h. schweizerische Haltung gegenüber Drogen mit dem Vernünftigen assoziiert.
Die amerikanische Wissenschaftsanthropologin Sharon Traweek hat anhand zweier Fallstudien zu einem amerikanischen und einem japanischen Hochenergiephysiklabor zu zeigen versucht, dass die dort tätigen Wissenschaftler bemüht sind, die kulturelle Bedingtheit ihrer Arbeit auszublenden.30 Einer solchen culture of no culture begegnet man in Vollenweiders Labor nicht. Es werden durchaus kulturelle Unterschiede zwischen den verschiedenen Positionen im wissenschaftlichen Diskurs wahrgenommen.31 Bei genauerem Nachfragen, worin diese Unterschiede bestehen, erhält man aber zunehmend differenziertere Antworten, welche die anfänglich behaupteten plakativen Gegensätze immer weiter unterminieren. Zuerst heisst es «die Amerikaner», dann wird zwischen verschiedenen Gruppen unterschieden und schliesslich bleiben nur individuelle Standpunkte (die möglicherweise auch noch von Ambivalenzen geprägt sind). Dem so genannten «Kultur»-anthropologen geht es nicht besser, wenn er sich bemüht, kulturelle Unterschiede auf den Punkt zu bringen. Der Kulturbegriff ist sicherlich keine adäquate analytische Kategorie zum Zweck sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. Was die Frage nach dem Schweizerischen an der Schweizer Halluzinogenforschung betrifft, habe ich mich deshalb auf die Ebene von «Beobachtungen zweiter Ordnung» (Niklas Luhmann) zurückgezogen. Statt den besonderen Status der Schweizer Halluzinogenforschung mit der schweizerischen «Drogenkultur» zu erklären, habe ich mich darauf beschränkt, die in terms von Kultur artikulierten Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Schweizer Halluzinogenforschern und mit deren Forschung befassten Regierungsbeamten zu thematisieren.32 Deren Selbstverständnis trägt sicherlich nicht unwesentlich zu den Entscheidungen der beteiligten Akteure bei. Aus der Summe dieser Entscheidungen ist letztlich das regulatorische Rahmenwerk hervorgegangen, welches die Schweiz zum gegenwärtigen Zentrum humanexperimenteller Halluzinogenforschung macht.

Die Schweiz – eine Insel der Seligen?
Um die eingangs begonnene Geschichte über den Versuch von Cahn und Kometer noch zu Ende zu erzählen: Am letzten der drei Versuchstage bekomme ich eine niedrigere Dosis Psilocybin verabreicht. Die Erfahrung ist deutlich angenehmer. Während der Introspektionsphase zu Beginn des Versuchs kommt eine Vielzahl sehr persönlicher Inhalte auf. Es geht um mein Leben, um Menschen, die ich liebe, schliesslich auch darum, was ich hier eigentlich tue – in einem EEG-Labor in der Schweiz? Aus den lebhaften Bildern, die all diese Gedanken begleiten, kristallisiert sich eine eigenartige Vision heraus: Eine Frau sonnt sich neben ihrem Schild an einem Bergsee. Mir kommt der Gedanke: Das ist die Schweiz. Da liegt sie wie eine Insel der Seligen mitten in Europa. Halluzinationen eines deutschen Anthropologen.

Nicolas Langlitz studierte Medizin und Philosophie in Berlin und Paris. Er hat als Medizinhistoriker über den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan und dessen Praxis der variablen Sitzungsdauer promoviert (Die Zeit der Psychoanalyse. Lacan und das Problem der Sitzungsdauer, Frankfurt am Main 2005). Zur Zeit forscht er im Rahmen des Ph.D.-Programms  Medical Anthropology der Universityof California, Berkeley, über die zeitgenössische Halluzinogenforschung. Er ist zudem als associated researcher am Laboratory for the Anthropology of the Contemporary (www.anthropos-lab.net) tätig.

Anmerkungen
1) Diese Auflistung der aktuell laufenden Projekte von Vollenweiders Arbeitsgruppe ist weder vollständig noch sind die Projekte in ihrer Vielschichtigkeit angemessen dargestellt. Tatsächlich ist das Spektrum bearbeiteter Fragestellungen noch breiter. So arbeiten Quednow und Hasler zum Beispiel zusätzlich an einer Studie zur Neurotoxizität von Ecstasy. Philipp Csomor untersucht einen grundlegenden Mechanismus neuronaler Informationsverarbeitung (die so genannte prepulse inhibition) bei Gesunden und Schizophrenen. Renée Stadler studiert den Effekt des Neuroleptikums Haldol auf diesen Mechanismus. Dominique Holstein erfasst neuropsychologische und neurophysiologische Parameter bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung, während Michael Villiger eine Testbatterie entwirft, die sich sowohl auf depressive Patienten als auch auf ein Tiermodell für Depression anwenden lässt. Der Physiker und Psychotherapeut Gary Schmid arbeitet an einer neuen Auswertungsmethode von PET-Daten.
2) Kurt Beringer, Der Meskalinrausch. Seine Geschichte und Erscheinungsweise, Berlin 1927. Ein Vorläufer zu Beringers Konzeption des «künstlichen Psychosemodells» findet sich bei Jacques-Joseph Moreau de Tours, Du haschisch et d’aliénation mentale: études psychologiques Paris 1845. Zur Geschichte der Modellpsychosen vgl. auch die Kapitel 10 und 11 in Claudio Vannini und Maurizio Venturini, Halluzinogene. Entwicklung der Forschung, 1938 bis in die Gegenwart. Schwerpunkt Schweiz, Berlin 1999.
3) Vgl. beispielsweise Jürgen Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005.
4) Nikolas Rose, “Neurochemical Selves”, in: Society 41, Nr. 1, 2003, S. 46-59.
5) Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1988. Michel Foucault, Hermeneutik des Subjekts: Vorlesung am College de France (1981/82), Frankfurt a.M. 2004. Max Weber, «Wissenschaft als Beruf», in: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund, München 1919, S. 3-37.
6) Weber, »Wissenschaft als Beruf«, S. 539.
7) Unter Portfolio, Statement of Intent, bei http://www.mindscapes.ch/start.html (Übersetzung – NL).
8.) Albert Hofmann, LSD – mein Sorgenkind: Die Entdeckung einer «Wunderdroge», München 1993.
9) Vannini und Venturini, Halluzinogene, S. 41.
10) United Nations, Convention on Psychotropic Substances, 1971.
11) Vannini und Venturini, Halluzinogene, S. 264 f.
12) In: Ebd., S. 266. In den Sechzigern hatte sich auch die Haltung der Wirtschaft gegenüber den zwanziger Jahren verändert. Hatte die Basler Chemieindustrie am Anfang des Jahrhunderts noch
13) Pier Hänni, «Timothy Leary’s Trip durch die Schweiz», in: Die berauschte Schweiz, hg. v. Roger Liggenstorfer, Christian Rätsch und Agnes Tschudin, Solothurn 1998, S. 215-222.
14) Vannini und Venturini, Halluzinogene, S. 285-305.
15) Ebd., S. 259-261.
16) Es ist allerdings anzumerken, dass auch die Gruppe um Leo Hermle, Manfred Spitzer und Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, die bereits 1988 in Freiburg damit begonnen hatte, die Halluzinogenforschung in Deutschland wiederzubeleben, keine Steine in den Weg gelegt bekam. Und das, obwohl es an der Freiburger Universitätsklinik keine vergleichbare Tradition der Halluzinogenforschung gab. Gouzoulis-Mayfrank (persönliche Mitteilung).
17) Vannini und Venturini, Halluzinogene, S. 287.
18) Ebd., S. 269.
19) Ebd., S. 274.
20) So Gouzoulis-Mayfrank (persönliche Mitteilung). Dabei ist anzumerken, dass es sich hierbei nicht um Maßnahmen handelt, die sich gegen die Halluzinogene im Besonderen richten. Viele dieser Substanzklasse zugehörige Pharmaka sind jedoch nicht ausreichend untersucht, um die von der European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA) aufgestellten und nun in nationale Regelungen übersetzten Kriterien der Arzneimittelsicherheit zu erfüllen.
21) Zuvor hatte bereits die Australierin Olivia Carter von der University of Queensland, St. Lucia (heute an der Universität Harvard tätig), ihre Forschungen mit Psilocybin bei Vollenweiders Arbeitsgruppe in der Schweiz durchgeführt. Hinzu kommen eine Reihe deutscher Doktoranden und Postdocs.
22) Vannini und Venturini, Halluzinogene, S. 269.
23) Ebd., S. 259.
24) Die Sichtbarmachung und wissenschaftliche Vermessung «psychischen Lebens» lässt sich aber zumindest bis zum Aufkommen der Experimentalpsychologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Mit der Entwicklung des EEGs im Deutschland der 1920er Jahre hat man begonnen, die Hirnaktivität in Form von elektrischen Strömen zu erfassen und mit ihren (vermeintlichen) subjektiven Pendants in Verbindung zu setzen. Vgl. Cornelius Borck, Hirnströme. Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie, Göttingen 2005.
25) Eine wissenschaftsanthropologische Auseinandersetzung mit dieser Thematik findet sich bei Joseph Dumit, Picturing Personhood: Brain Scans and Biomedical Identity, Princeton 2004.
26) Vgl. Mark Geyer, “Why Study Hallucinogenic Drugs in Animals?”, in: The Heffter Review of Psychedelic Research 1, 1998, S. 33-38.
27)Vergleichbare Forschungen finden beispielsweise auch in den USA und in Deutschland statt (etwa in Gouzoulis-Mayfranks Arbeitsgruppe «Experimentelle Psychiatrie» an der Universität zu Köln oder an der Medizinischen Hochschule Hannover, wo Torsten Passie gegenwärtig eine Psilocybin-Studie durchführt). Aus verschiedenen Gründen (Zulassungsverfahren in den USA, Probandenrekrutierung in Deutschland) sind die Bedingungen in diesen Ländern jedoch weniger günstig als in der Schweiz.
28) Franz Vollenweider, «Beziehungen zwischen Hirnaktivitätsmustern (PET) und Dimensionen veränderter Bewußtseinszustände», in: Welten des Bewusstseins. Multidisziplinäre Entwürfe, Bd. 7, hg. v. Rolf Verres, Hanscarl Leuner und Adolf Dittrich, Berlin 1998, S. 111-126.
29) Ebd., “Recent Advances and Concepts in the Search for Biological Correlates of Hallucinogen-induced Altered States of Consciousness” in: The Heffter Review of Psychedelic Research 1, 1998, S. 21-32, S. 22. Vollenweider bezieht sich dabei auf Adolf Dittrich, S. von Arx und S. Staub, »International study on altered states of consciousness (ISASC). Summary of the results«, in: German Journal of Psychology 9, 1985, S. 319-339.
30) Sharon Traweek, Beamtimes and Lifetimes. The World of High Energy Physicists, Cambridge (Mass.) 1988.
31) Zu einem durch kulturanthropologische Kategorien bestimmten Selbstverständnis von Wissenschaftlern vgl. Stefan Helmreich, »After Culture: Reflections on the Apparition of Anthropology in Artifical Life, a Science of Simulation«, in: Cultural Anthropology 16, Nr. 4, 2001, S. 612-627.
32) Eine abstraktere, aber ganz ähnlich verfahrende Beobachtung der Beobachtungen, die wir mit Hilfe des Kulturbegriffs machen, findet sich bei Niklas Luhmann, “Kultur als historischer Begriff», in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Frankfurt a. M. 1999, S. 31-54. Dirk Baecker, Wozu Kultur?, Berlin 2000.

Aus: Sonderausgabe Gaia Media News
«LSD – Sorgenkind und Wunderdroge»
Zum gleichnamigen Symposium
aus Anlass des 100. Geburtstags von Albert Hofmann

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