november 2023 – goodnews editorial

nehmt das geld!

Colorado hat in den ersten beiden Quartalen 2023 bereits 2.5 Milliarden an Steuern auf Cannabis und Cannabisprodukten eingenommen, fast so viel wie im ganzen Jahr davor. In Denver wird die alte Siedlermeile renoviert. Zuschüsse fliessen links und rechts. In Kanada ging seit der Legalisierung in 2018 der illegale Anbau und Vertrieb von Cannabis um die Hälfte zurück. Der wirtschaftliche Faktor spielt auch hier. In Kalifornien, Oregon und einer Reihe anderer amerikanischer Staaten ist Cannabis und zum Teil auch Psilocybin frei erhältlich, sofern man mindestens18 Jahre alt ist. In Thailand geht es neuerdings zu und her wie in Amsterdam; in Luxemburg wurde schon 2001 gelockert. Entsprechende Gesetzesänderungen betreffend Cannabis haben auch Südafrika, Tschechien, Portugal, Mexico oder Honduras vorgenommen.

Und was machen wir? Wir halten den grossen Zeh ins Wasser mit Pilotversuchen in allen grösseren Schweizer Städten und schleudern mit Geld um uns, als gäbe es kein Morgen. Es reicht nicht, sich diskret im trauten Heim bei Cannabis zu entspannen, wir sollen es jetzt kontrolliert tun. Ich habe sowohl das Marihuana als auch das Haschisch aus einer kontrollierten Zürcher Probe versucht. Na ja.

Wir sollen in Klubs high werden. Nett für diejenigen, die Kontakt suchen, aber was ist mit meinen kreativen Bedürfnissen? Was wenn ich ins Kino oder ins Theater gehen möchte? Jemand besuchen? Schreiben, lesen, zeichnen, malen, Musik oder Yoga üben. Sport treiben. Soll das alles publik stattfinden? Sind KifferInnen Leute, die breit in der Gegend rum hängen und sich knapp mit dem Nachbarn, der Nachbarin austauschen können?

Soll das Private völlig aus unserem Leben verschwinden? Ich sehe es als ein Grundrecht an, mein Leben abseits der Öffentlichkeit leben zu dürfen. Ich habe nichts gegen Offenheit und Bekanntheit, aber mein Leben gehört dennoch mir und ich entscheide, wann ich mit anderen zusammen sein möchte. Die Schweizer Gesundheitsbehörden täten gut daran, eine Kehrtwende in der Drogenpolitik zu vollführen und alle Cannabisprodukte für legal zu erklären, sofern sie sich an gewisse Standards halten, analog der Vorgehensweise bei CBD.

Cannabisanbau will gelernt sein. Es müssen Profis ran, was qualitativ zu begrüssen wäre. Dabei muss es möglich bleiben, dass auch kleinere Produzenten ein Einkommen generieren. Es muss einen Markt für Spezialitäten geben, bei dem die grossen die kleinen Züchter unterstützen, indem sie zum Beispiel Laborzeit und -platz zur Verfügung stellen, damit auch Aussenseiter den behördlichen Standards entsprechen können. BürgerInnen selbst ihre Pflanzen ziehen zu lassen, ist auch eine prima Idee, solange man nicht mehr als vier Bio-Pflanzen pro Haushalt erlaubt, sonst sind wir irgendwann überwuchert.

Unsere Behörden wollen wieder einmal alles mit dem Massstab regeln und mit der Zahnbürste von jeglicher Patina befreien. Dabei sind die Männer und Frauen, die sich für Pilotversuche anmelden, lediglich der Schwanz des Elefanten im Raum. Der Elefant sind wir, die unzähligen anderen, die wir Hanf als – gelegentliches – Genussmittel mögen, sei es als Alkoholersatz oder zur Entspannung nach der Arbeit, vor dem Sex oder um Musik zu hören. Wir beteiligen uns an keinen Pilotprojekten und haben kein Interesse daran, in «Social Clubs» mittelmässige Ware zu konsumieren.

Wissen unsere Politiker immer noch nicht, dass es besser ist, den Markt sich selbst regeln zu lassen und dazu die Leitplanken zu stellen, also die Standards festzulegen und Bewilligungen zu vergeben, als sich wie Helikoptereltern über jede Pflanze und jede/n Konsumente/in zu beugen? Und was draussen wächst, soll fürs ganze Jahr reichen? Wie kann man je die Oberhand gewinnen, wenn man derart an der Wirklichkeit vorbei politisiert!

Mit herbstlichen Grüssen
Ihre
Susanne G. Seiler
 
P.S. Sie finden uns jeden Donnerstagnachmittag von 14 – 18 Uhr in der gaialounge, Hochstrasse 70 in Basel (hinter dem Hauptbahnhof Basel SBB, Haltestelle Peter Merian). Herzlich willkommen!


herbstgedicht

Zu Golde ward die Welt;
zu lange traf
der Sonne süsser Strahl
das Blatt, den Zweig.
Nun neig
dich, Welt, hinab.

Bald sinkt’s von droben dir
in flockigen Geweben
verschleiernd zu –
und bringt dir Ruh,
o Welt,
o dir, zu Gold geliebtes Leben,
Ruh.

Christian Morgenstern

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